Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«
ungleichen Kampf, den er mit Sirk und seinen vier Genossen zu bestehen hatte, waren mehrere Wochen verstrichen, ohne daß er seinen Gegner gesehen hätte.
Seine ehemaligen Angreifer hatten – wahrscheinlich aus Furcht vor dem Einmengen des Kawdjer – seither den Indianern keine Fische mehr abgebettelt. Übrigens war durch die Ankunft des »Ribardo« die Lebensmittelfrage gelöst worden. Jetzt kam es auf einige Fische mehr oder weniger nicht an. Jetzt hatte man Vorräte in Hülle und Fülle, die vorläufig unerschöpflich erschienen.
Aber die Ladung des »Ribardo« bestand nicht ausschließlich aus Eßwaren, das Schiff brachte auch Alkohol, und Beauval war unvorsichtig genug gewesen, das gefährliche Getränk zu verteilen und damit hatte er Verwirrung im Lager gestiftet.
Besonders bei Ceroni sah es schlimm aus. Die abscheulichen Auftritte, welche die stete Trunkenheit Lazares zur Folge hatte, verstärkten die Gefühle des Hasses, die Halg und Sirk beseelten. Während sich der eine zum Beschützer Tullias und ihrer Tochter aufwarf, schmeichelte Sirk dem Laster des elenden Gatten und verachtungswürdigen Vaters. Das Benehmen Sirks erfüllte den jungen Indianer mit stillem Ingrimm, er konnte seinem Rivalen die Tränen nicht verzeihen, die er Graziella vergießen sah.
Der verteilte Alkohol war vertilgt, aber die Ruhe kehrte nicht wieder.
Dank seiner Intimität mit Ferdinand Beauval gelang es Sirk, die Methode Pattersons nachzuahmen. Er versorgte Lazare mit neuen Vorräten und hoffte, sich so seine Zuneigung zu erwerben.
Das Vorgehen, das ein erstes Mal Erfolg gehabt, mißglückte auch ein zweites Mal nicht. Der Trunkenbold nahm offen Partei für seinen Freund, welcher seiner entwürdigenden Leidenschaft schmeichelte, und erklärte sich zu seinem Verbündeten. Bald nannte er Sirk nur »Schwiegersohn« und schwur hoch und teuer, er werde Graziella schon zu zwingen wissen.
Das junge Mädchen verschwieg Halg die Kämpfe, die es zu erdulden hatte, aber dieser erriet viel, verstand Sirks Absichten und haßte ihn mit jedem Tage gründlicher.
So standen die Sachen, als am Morgen des 29. März Halg, welcher gerade über die Brücke zum rechten Ufer schritt, auf zweihundert Schritte Entfernung Graziella erblickte, welche mit gelösten Haaren aus Leibeskräften lief, als gälte es, einer drohenden Gefahr zu entfliehen.
Sie war wirklich auf der Flucht begriffen und die Gefahr war – Sirk, der, nur fünfzig Schritte von ihr entfernt, sie mit der Schnelligkeit seiner langen Beine verfolgte.
»Halg… Halg… hilf mir!« schrie Graziella, als sie den jungen Indianer erblickte. Dieser stürzte vor und versperrte ihrem Verfolger den Weg.
Aber Sirk verachtete den schmächtigen Gegner. Nach einem kurzen Halt nahm er die Verfolgung wieder auf und eilte, laut lachend, mit gesenktem Kopfe vorwärts.
Das Folgende sollte ihm eine Lehre für seinen Eigendünkel sein! Wenn Halg jung war, so verdankte er dem freien Leben in der Wildnis stählerne Muskeln und eine affenartige Geschwindigkeit. Als ihm der Feind auf Griffweite nahe gekommen war, schlug er ihm beide Fäuste ins Gesicht und auf die Brust, daß dieser, wie erschlagen, zu Boden stürzte.
Die jungen Leute zogen sich, von den Verwünschungen des Besiegten verfolgt, aufs andere Ufer zurück. Sirk, welcher nur schwerfällig atmete, stieß fürchterliche Drohungen aus.
Ohne ihn einer Antwort zu würdigen gingen Halg und Graziella geradewegs zum Kawdjer, welchen das junge Mädchen um Schutz anflehte. Das Weiterleben am anderen Ufer war ihr unmöglich. Sie hatte lange das Elend totgeschwiegen, aber jetzt hatten ihre Leiden den Höhepunkt erreicht und es war besser, sie sagte alles. Diesen Morgen war Sirk in seiner Roheit so weit gegangen, daß er sie mißhandelt, geschlagen hatte. Tullias Dazwischentreten war ganz erfolglos geblieben, während Lazare Ceroni – das Scheusal – den Übeltäter noch ermuntert und ihm Beifall gezollt hatte. Endlich war es Graziella gelungen, aus dem Zelte zu springen, aber wer weiß, wie das Ende vom Liede gewesen wäre, hätte nicht Halg sie errettet.
Der Kawdjer hatte den Bericht mit seiner gewöhnlichen ruhigen Miene angehört.
»Und was wollen Sie jetzt tun, mein Kind, fragte er.
– Bei Ihnen bleiben… rief Graziella; ich beschwöre Sie, verweigern Sie mir Ihren Schutz nicht.
– Der ist Ihnen sicher, sagte der Kawdjer. Was das Hierbleiben anbelangt, so ist das Ihre Sache, Sie müssen entscheiden, jeder ist frei, mit sich zu machen, was
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