Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«
er will. Ich werde mir höchstens erlauben, Ihnen einen Rat bezüglich der Wahl Ihrer künftigen Wohnung zu geben. Bitten Sie die Familie Rhodes um Gastfreundschaft, sie wird Ihnen auf meine Bitte hin sicher freudigst gewährt.
Dieser weise Entschluß traf nirgends auf Widerstand. Die Flüchtende wurde mit offenen Armen von der Familie Rhodes empfangen und besonders freudig von Clary begrüßt, welche glücklich war, eine Altersgenossin zu bekommen.
Nur eine Sorge quälte Graziella. Was wurde aus ihrer Mutter, welche sie in dieser Hölle zurückgelassen hatte. Der Kawdjer beruhigte sie. Er wollte selbst hinübergehen und Tullia bewegen, zu ihrer Tochter zu ziehen.
Es sei gleich hier bemerkt, daß diese Mission nicht nach seinem Wunsche ausfiel. Tullia bestand eigensinnig darauf, bei ihrem Gatten zu bleiben, billigte aber die Flucht Graziellas und war glücklich, sie bei einer ehrenwerten Familie so gut aufgehoben zu wissen. Ihrer Lebensaufgabe aber wollte sie bis zum letzten Augenblicke treu bleiben. Und diese Aufgabe bestand darin, ihren Mann, der jetzt als formlose Masse nach dem ersten Rausch des Tages, seiner Sinne beraubt, auf der Erde lag, auf seinem Lebensweg zu begleiten, nicht zu verlassen, wenn sie auch darunter leiden, selbst sterben sollte!
Als der Kawdjer diese Antwort, die er vorausgesehen hatte, Graziella überbrachte, traf er Ferdinand Beauval an, welcher mit Harry Rhodes einen Wortwechsel hatte, der ernst zu werden schien.
»Was gibt es denn, fragte der Kawdjer.
– Nichts anderes, sagte Harry Rhodes erregt, als daß der Herr hier sich erlaubt hat, Graziella zurückzuverlangen; er will sie ihrem liebenswürdigen Vater wieder zuführen.
– Seit wann nimmt Herr Beauval so regen Anteil an den Familienverhältnissen der Familie Ceroni, fragte der Kawdjer mit einer Stimme, in der der verhaltene Unmut zitterte.
– Alle Vorgänge auf der Kolonie erregen das Interesse des Gouverneurs, erklärte Beauval, indem er sich Mühe gab, durch Würde in Haltung und Rede seiner hohen Stellung gerecht zu werden.
– Nun, und der Gouverneur?…
– Bin ich!…
– Ach so! machte der Kawdjer.
– Es ist mir eine Klage zugegangen, begann Beauval, welcher die ironische Bemerkung des Kawdjer nicht zu verstehen schien.
– Durch Sirk natürlich, sagte Halg, welcher die freundschaftlichen Beziehungen der beiden kannte.
– Nein, berichtigte Beauval. Durch den Vater, durch Lazare Ceroni selbst.
– So, sagte der Kawdjer; spricht denn Lazare Ceroni im Schlafe? Denn ich weiß bestimmt, daß er jetzt schläft und schnarcht.
– Ihr Spott macht das Verbrechen nicht ungeschehen, das auf dem Boden der Kolonie verübt worden ist, sagte Beauval in barschem Tone.
– Ein Verbrechen?… Wo sehen Sie denn eines?
– Ich wiederhole, ein Verbrechen! Ein junges, noch unmündiges Mädchen ist seiner Familie entrissen worden. Dieses Vorgehen wird in den Gesetzen aller zivilisierten Länder als Verbrechen bezeichnet.
– Seit wann gibt es denn Gesetze auf der Insel Hoste? fragte der Kawdjer, dessen Augen bei dem Worte »Gesetz« unheilverkündende Blitze schossen; von wem gehen denn diese Gesetze aus?
– Von mir, antwortete Beauval mit hoheitsvoller Miene; von mir, der ich im Namen sämtlicher Kolonisten hier stehe und als deren Repräsentant ich ein Anrecht auf den Gehorsam aller habe.
– Was sagten Sie? rief der Kawdjer; sprachen Sie nicht von Gehorsam?… Wohlan, denn, so hören Sie auch meine Antwort. Die Insel Hoste ist ein freies Land, wo niemand dem anderen zu gehorchen hat. Graziella ist freiwillig hierher gekommen und wird hier bleiben, wenn sie will…
– Aber, versuchte Beauval einzuwerfen.
– Da gibt es kein »Aber«; wer sich untersteht, vor mir von Gehorsam zu sprechen, hat mich zum Gegner.
– Nun, wir werden ja sehen, sagte Beauval; dem Gesetze muß Achtung verschafft werden – und sollte ich zur Gewalt greifen müssen.
– Zur Gewalt? rief der Kawdjer. Versuchen Sie es doch! Vorläufig rate ich Ihnen, meine Geduld nicht länger auf die Probe zu stellen, sondern sich in Ihre Hauptstadt zurückzuziehen, wenn Sie nicht dahin zurückgeführt werden wollen.«
Der Anblick des Kawdjer war nicht sehr beruhigend, so daß es Beauval für klüger hielt, nicht weiter auf seiner Forderung zu bestehen. Er zog sich zurück, auf zwanzig Schritte Entfernung von dem Kawdjer, Harry Rhodes, Hartlepool und Karroly gefolgt.
Als er sich am anderen Flußufer sicher fühlte, drehte er sich um und drohte:
»Wir werden
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