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Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«

Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«

Titel: Die Schiffbrüchigen des »Jonathan« Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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gehorchen mußten, das war der notwendige Lauf der Dinge, die natürliche Weltordnung.
    Der Macht des Gebieters wird durch seine vielen verantwortungsvollen Verpflichtungen das Gleichgewicht gehalten. Demjenigen, welcher sich so hoch über die anderen erhebt, fällt die Pflicht zu, für deren Leben zu sorgen. Wenn ihn einerseits der Glanz seiner Machtstellung umgibt, so harrt seiner anderseits die schwere Verantwortung, er hat stets und überall die Initiative zu ergreifen und muß es der Menge recht zu machen versuchen, die sich nur so lange fügt, als sie befriedigt ist, und eine schwere Anklage erheben wird, wenn sie Hunger leiden muß.
    Die unerwartete Vermehrung der Bevölkerung, welche ernährt sein wollte, ließ das Gespenst »Hunger« wieder in grauer Form auftauchen.
    Am 15. April kam der erste Emigrant zurück, welcher im Kampfe mit der Natur den Kürzeren gezogen hatte. Er erschien gegen Abend und schleppte seine Frau und vier Kinder mühsam mit sich fort. Ein trauriger Zug! Die abgemagerte, hohlwangige Frau im zerfetzten Rock, die Kinder – zwei Mädchen und zwei Knaben, der letztere kaum fünf Jahre alt – die sich fast nackt an die Kleider der Mutter klammerten. Voran ging der Vater allein, mit abgespannten Zügen und mutlosem Ausdruck im Gesicht.
    Man umringte sie und überstürzte sie mit Fragen.
    Der Mann, auf den der Anblick anderer Menschen belebend wirkte, erzählte kurz von seinem Leiden. Nachdem er als einer der letzten fortgezogen war, hatte er sehr lange wandern müssen, um ein Gebiet zu finden, das noch keinen Herrn hatte. Erst in der zweiten Hälfte des Dezember hatte er etwas Passendes gefunden und war sogleich fleißig gewesen. Erst hatte er eine Hütte gebaut, aber da er mit schlechten Werkzeugen versehen gewesen, war er fast ganz auf seiner Hände Geschicklichkeit angewiesen und brachte das Werk nur schwer zum Abschluß, um so mehr, als seine Unkenntnis im Bauen ihn große Fehler begehen ließ, deren Ausbesserung wieder viel Zeit in Anspruch nahm.
    Nach sechs Wochen ununterbrochener Anstrengung hatte er endlich die plumpe Hütte fertig und ging nun an die Urbarmachung des Bodens. Sein Unstern hatte ihn aber an eine Stelle geführt, die so mit Wurzeln durchsetzt war, daß Hacke und Spaten kaum einzudringen vermochten. Trotz seines Fleißes war die für die Aussaat bestimmte Fläche sehr unbedeutend, als der Winter einzog.
    Aller Wachstum war damit aufgehalten zu einer Zeit, wo an Ernte gar nicht zu denken war, die Lebensmittel begannen spärlich zu werden und er hatte sich entschlossen, die schlechten Werkzeuge und unnützen Samen preiszugeben und den langen Weg zurückzuwandern, den er vor vier Monaten so fröhlichen Herzens betreten hatte. Während zehn Tagen hatten sie – seine Familie und er – die Insel durcheilt, versteckten sich unter Schnee, solange das Unwetter zu groß war, und mußten bei Tauwetter bis in die Knie in einem Morast waten, um endlich an der Küste erschöpft, entkräftet und ganz verhungert anzulangen.
    Beauval nahm sich der armen Menschen an. Auf seine Fürsprache hin wurde ihnen eines der zerlegbaren Häuser zugewiesen und er ließ ihnen Nahrungsmittel verabreichen, auf die sie sich gierig warfen. Dann betrachtete er den Zwischenfall auf zufriedenstellende Weise erledigt.
    Die folgenden Tage enttäuschten ihn. Keiner verging, an dem nicht der eine oder andere der im Frühjahr fortgezogenen Emigranten, allein oder mit Frau und Kindern, wiederkam, alle gleich verhungert und in Lumpen gekleidet.
    Einige Familien erschienen weniger zahlreich, als sie ausgezogen waren. Wo waren die Fehlenden geblieben? Wahrscheinlich gestorben. Der Zug der verzweifelnden Überlebenden fuhr fort, sich quer durch die Insel zu bewegen und mündete in demselben Punkt, in Liberia, wo dieser unerwartete Zufluß die wirtschaftliche Lage zu einer sehr bedenklichen machen mußte.
    Bis zum 15. Juni hatten mehr als dreihundert Kolonisten die Bevölkerungszahl der Hauptstadt vergrößert. Bisher konnte Beauval allem gerecht werden. Jeder hatte auf seine Veranlassung in einem der Häuser Zuflucht gefunden, in denen es bald von Menschen wimmelte. Aber einige derselben waren auf das linke Ufer geschafft worden, wodurch Neudorf gegründet wurde, einige waren unvorsichtigerweise zerstört worden, einige waren zu einer besonders geräumigen Behausung zusammengestellt worden, der Beauval den klingenden Namen eines »Palastes« gegeben hatte, – bald herrschte Platzmangel und man mußte sich wieder

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