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Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«

Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«

Titel: Die Schiffbrüchigen des »Jonathan« Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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mit Zelten zufriedenstellen.
    Aber die Lebensmittelfrage war noch viel wichtiger. Diese große Anzahl hungeriger Mägen verminderte rasch die durch den »Ribardo« gebrachten Vorräte. Gerade als man seinen Bedarf für ein Jahr und mehr gedeckt glaubte, konnte man damit unter den neuen Umständen kaum bis zum Frühling reichen. Beauval war einsichtig genug, das zu erkennen, machte von seiner Regierungsgewalt Gebrauch und erließ ein Dekret, nach welchem von nun an die Rationen verkleinert werden sollten.
    Kein Mensch kümmerte sich aber um einen Erlaß, der nicht durch eine besondere Sanktion gerechtfertigt war. Beauval mußte, um ihm Geltung zu verschaffen, zwanzig seiner eifrigsten Anhänger damit betrauen, die Vorräte zu bewachen, wie es seinerzeit die Matrosen des »Jonathan« getan. Diese Maßregel wurde mit Murren begrüßt – aber Beauval fand Gehorsam.
    Nun glaubte er alle Schwierigkeiten beseitigt und die schlimme Zeit, soweit es menschenmöglich war, hinausgeschoben zu haben, als neue Unglücksfälle über Liberia hereinbrachen.
    Alle aus dem Inneren der Insel Zurückkehrenden waren moralisch entmutigt, physisch geschwächt, durch das Klima sowohl als durch Entbehrungen und die Mühen des Weges. Was vorauszusehen war, traf ein. Eine heftige Epidemie brach aus. Die Krankheit und der Tod forderten viele Opfer in dieser geschwächten Bevölkerung.
    In ihrem Elend fiel ihnen der Kawdjer wieder ein. Bis zur Hälfte des Monates Juli hatten sie seine Abwesenheit gar nicht bemerkt. Man vergißt leicht vergangener Wohltaten, die man in Zukunft entbehren zu können glaubt. Aber im gegenwärtigen Elend wandten sich ihre Blicke demjenigen zu, der ihnen schon so oft beigestanden war. Warum verließ er sie zu einer Zeit, wo so viel Unglück auf einmal über sie hereinbrach? Was immer für Gründe die Trennung zwischen dem Hauptlager und Neudorf hervorgerufen haben mochten, sie waren sicher verschwindend klein im Vergleich mit ihren Leiden.
    Und täglich sah man verlangender nach Neudorf hinüber, dessen Dächer am anderen Ufer aus dem Schnee hervorragten.
    Eines Tages – am 10. Juli – war der Kawdjer gerade damit beschäftigt (der dichte Nebel fesselte ihn ans Haus), eine seiner Jacken aus Guanakofell auszubessern, als er eine Stimme zu vernehmen glaubte, die ihn rief. Wenige Sekunden später vernahm er einen zweiten Ruf.
    Der Kawdjer trat vor sein Haus.
    Es herrschte Tauwetter. Unter dem Einfluß einer feuchten Brise aus Westen war der Schnee geschmolzen. Vor ihm breitete sich ein Morast aus, über dem dichte Wasserdünste schwebten, unten Nebel, oben Wolken, welche sich dann in Katarakten über den durchweichten Boden der Insel ergossen. Es war unmöglich, den Nebel mit dem Blicke zu durchdringen, auf hundert Schritte Entfernung konnte man schon nichts mehr unterscheiden; alles war wie verschleiert. Nicht einmal das Meer konnte man sehen, dessen träge Wellen langsam und traurig das Ufer peitschten.
    »Kawdjer,« rief eine Stimme durch den Nebel.
    Diese Stimme, durch die Entfernung abgeschwächt, traf das Ohr des Kawdjer wie eine Klage. Dieser eilte zum Ufer. Welch mitleiderregender Anblick bot sich ihm dar! Dort standen etwa hundert Menschen, durch das reißende Wasser von ihm getrennt, das die Zerstörung der Brücke unpassierbar machte. Waren das Menschen? Oder in Lumpen gekleidete Gespenster mit fleischlosen Gesichtern.
    Als sie denjenigen bemerkten, der ihre letzte Hoffnung war, richteten sie sich auf und streckten ihre Arme flehend nach ihm aus.
    »Kawdjer,« riefen sie einstimmig, »Kawdjer!«
    Dieser erzitterte bis ins innerste Mark. Welche fürchterliche Katastrophe hatte denn Liberia betroffen, daß seine Bewohner in solch einem entsetzlichen Zustand der Verwahrlosung waren?
    Der Kawdjer beruhigte sie mit einem Zeichen seiner Hand und suchte Hilfe. In weniger denn einer Stunde hatten Halg, Hartlepool und Karroly die Brücke notdürftig wieder hergestellt und er eilte hinüber. Angstvolle Gesichter umstanden ihn, ihr Anblick hätte ein Herz von Stein erweichen müssen.
    Das Fieber blickte aus ihren hohlen Augen, die jetzt durch einen Freudenschimmer erhellt waren. Der Wohltäter, der Retter war ja da! Die armen Enterbten umringten ihn, drängten sich an ihn, berührten seine Kleider, und aus ihren ausgetrockneten Kehlen kam es wie glückliches Lachen.
     

    Welch mitleiderregender Anblick bot sich ihm dar!… (S. 232.)
     
    Der Kawdjer war tief ergriffen, er sah und hörte sie schweigend an. Sie

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