Die Schiffe der Kleopatra
wetten, dass das Kauderwelsch, das die Frau spricht, ausschließlich auf dieser Insel verstanden wird.«
»Es wird auf der ganzen Welt verstanden«, entgegnete sie selbstsicher. »Es ist Griechisch, allerdings der archaischste Dialekt, den ich je gesprochen gehört habe. Er muss schon uralt gewesen sein, als Homer seine Epen verfaßt hat. Ich vermute, es ist eine Variante des Kykladischen, das seit vielen tausend Jahren ausgestorben ist. Ich habe es bisher nur in einigen sehr alten Dokumenten geschrieben gesehen, die ihrerseits bereits Abschriften noch älterer Texte waren.«
Kleopatra konnte einen immer wieder verblüffen.
»Bitte sie, uns zu schildern, was geschehen ist«, sagte ich. Sehr langsam, jedes Wort sorgfältig bedenkend und auf den verwirrten Gesichtsausdruck der Frau hin häufig wiederholend, vermittelte Kleopatra meine Fragen. Daraufhin begannen die Worte nur so aus der Frau heraus zusprudeln, bis es Kleopatra gelang, sie mit Gesten zu beschwichtigen. Schließlich wandte sich die Prinzessin wieder mir zu.
»Ihr Name ist Chryse. Das Dorf hat keinen Namen, und sie kennt keinen anderen Ort als diese Insel. Vorgestern tauchten vor der Küste fünf Schiffe auf. Die Leute dachten, sie wollten Fisch und Wolle kaufen, und eilten zum Ufer. Doch als die Fremden an Land kamen, begannen sie, die Menschen zusammen zutreiben, Frauen und Kinder sowie einige der jungen Männer mit Stricken zu fesseln, während sie andere töteten und alle alten Menschen niedermetzelten. Die Frau ist mit ein paar anderen ins Innere der Insel geflohen, wo sie sich unter einem Felsvorsprung verborgen hat, den sie kannte. Sie weiß nicht, wie es den anderen gelungen ist, sich zu verstecken. Sie weiß nicht, was aus ihrem Mann und ihren Kindern geworden ist.«
»Frag sie nach der Haltung der Angreifer,«
Sie sah mich an. »Wie meinst du das?«
»Waren sie wütend, so als ob ihnen die Insulaner einen Schaden zugefügt hätten? Waren sie ausgelassen, haben sie lachend gemordet und vergewaltigt und sich dabei amüsiert? Wie haben sie ausgesehen und geklungen?«
Erneut gelang es Kleopatra, der Frau zu verdeutlichen, was ich wollte, doch als die Frau antwortete, musste sie das Gesagte mehrmals wiederholen, bis die Prinzessin sie vollkommen verstanden hatte.
»Sie sagt, sie waren grimmig und entschlossen, zeigten jedoch keinerlei Wut, sondern benahmen sich, als ob sie einen Auftrag erledigten. ›Wie Männer, die Fische fürs Abendessen ausnehmen‹ , waren ihre genauen Worte. Eine Vergewaltigung hat sie nicht beobachtet.«
»Hat sie den Anführer gesehen?« wollte ich wissen. Diesmal ging das Dolmetschen schon zügiger. »Sie hat am Ufer einen großen Mann mit langem Haar und einem Bart gesehen«, erklärte Kleopatra, »dem die anderen zu gehorchen schienen. Aber er hat die Insulaner kaum eines Blickes gewürdigt, und sie war zu starr vor Angst, um sonst noch viel zu beobachten.«
»Kann sie ihre Schiffe beschreiben?«
Kleopatra wiederholte meine Frage. »So wie deine, aber von derselben Farbe wie das Meer.«
»Danke ihr. Sag ihr, wir werden sie und die anderen nach Zypern bringen und eine Behausung für sie finden. Sie sollen nicht weiter leiden müssen.«
Die Frau sagte etwas, und Kleopatra wandte sich mir zu. »Sie will nicht mit nach Zypern kommen, und sie sagt, sie glaubt, die anderen wollen es auch nicht. Diese Insel ist alles, was sie kennen.«
»Aber hier ist doch nichts mehr«, entgegnete ich. »Sag ihr, dass sie, selbst wenn sie genug Nahrung finden, früher oder später einsam sterben werden.«
Kleopatra versuchte es. »Sie will bleiben«, fasste sie die Antwort der Frau zusammen.
Wir kehrten in Kleopatras Zelt zurück.
»Bist du jetzt bereit zu Schlußfolgerungen?« fragte sie und reichte mir einen weiteren Becher Wein.
»Es war ein Exempel«, sagte ich. »Das ist die einzige Erklärung. Die Plünderer hatten den Auftrag, den Ort dem Erdboden gleich zumachen. Deswegen sind sie so systematisch vorgegangen. Es war lediglich ein Auftrag, möglicherweise sogar ein unangenehmer, aber einer, der trotzdem ausgeführt werden musste.«
»Aber ein Exempel für wen?« fragte Kleopatra. »Für dich?« »Man kann einen Römer nicht durch Gemetzel einschüchtern, und das weiß dieser Spurius auch. Nein, dies war eine Botschaft, die jedem im östlichen Mittelmeer verdeutlichen sollte, was geschieht, wenn er mit uns zusammen arbeitet. Die Nachricht wird sich bei unserer Rückkehr auf ganz Zypern verbreiten, und das heißt, sie
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