Die Schiffe der Kleopatra
verbleibenden Rest aus. Vielleicht mangelt es unserem System an der Ordnung und Übersichtlichkeit einer Monarchie mit König und Erbadel, doch es erspart uns die Regentschaft von Schwachsinnigen mit Stammbaum. In Rom kann jeder Mann mit starkem Willen und entsprechenden Fähigkeiten das Schicksal der Welt bestimmen.« Offen gestanden, sprach ich diese selbstgewissen Worte nur um ihretwillen aus. Denn es war eine traurige Tatsache, dass unsere klapprige alte Republik sich in einem Zustand fortschreitender Auflösung befand. Sie wurde von machtbesessenen Egomanen wie Caesar, Pompeius und Gabinius und, so ungern ich es zugebe, von reaktionären adeligen Familien wie meiner eigenen zerstört. Wir hielten uns für konservativ, weil wir versuchten, einen Mittelkurs zwischen den diversen Möchtegern-Alexanders zu steuern, doch letztendlich hatten all unsere Manöver immer nur das Ziel, unsere eigene Klientel, unseren Besitz und unseren Einfluß zu mehren.«
»Rom mag die Herrscherin der Welt sein«, erwiderte Kleopatra, »aber früher oder später muss einer eurer großen Männer sich zum Herrscher über Rom erheben. Einen anderen Ausgang gibt es nicht.«
Ich schwieg und sann über die Worte der jungen Prinzessin nach, die sich im Laufe der kommenden Jahre als recht prophetisch erweisen sollten.
In jener Nacht hatte ich einen Traum. Die meisten Menschen geben viel zuviel auf Träume und messen den banalsten Reflexionen alltäglicher Sorgen, Kümmernisse und Ambitionen enorme Bedeutung zu. Ich persönlich glaube nicht, dass die Götter sich häufig die Mühe machen, Einzelpersonen prophetische Visionen zuteil werden zu lassen, und für gewöhnlich ist es lediglich ein Zeichen von Eitelkeit, wenn man sich selbst als häufiger Empfänger solch göttlicher Botschaften wähnt. Wenn die Götter mit uns kommunizieren wollen, dann sprechen sie zu der gesamten Gemeinschaft, und sie tun es mittels Donner und Blitz, Vogelflug und Zeichen am Himmel. Wir haben Beamte und Priester, deren Aufgabe es ist, diese Omen zu deuten.
Ich persönlich habe auch nie geglaubt, dass die Innereien geopferter Tiere irgend etwas damit zu tun haben. Das ist lediglich ein etruskischer Aberglaube.
Nichtsdestoweniger erlebe ich bei ganz besonderen Anlässen Traumvisionen, die so bemerkenswert sind, dass ich denke, sie müssen von einer göttlichen Macht geschickt worden sein, wenngleich nicht notwendigerweise von einem echten Olympier. So groß ist meine Eitelkeit nicht. Jeder von uns, ob Mann oder Frau, wird mit einem über uns wachenden genius oder iuno geboren. Diese Geister wachen ein Leben lang über uns und inspirieren uns. Es mag sein, dass sie in Kontakt mit anderen übernatürlichen Wesen stehen und in der Lage sind, uns in Situationen, die für unser Leben von großer Bedeutung sind, Botschaften aus einer für uns unsichtbaren Welt zukommen zu lassen.
Leider pflegen die Unsterblichen bei Mitteilungen an uns Sterbliche in Bildern, Rätseln und Verschlüsselungen zu sprechen, und so war es auch diesmal. Was immer er bedeuten mag, so war mein Traum:
Ich schlug wie nach tiefem Schlaf meine Augen auf und sah, dass ich von Wolken umgeben war. Ich löste mich aus ihren Fetzen und erkannte unter mir eine braungrüne Masse, umgeben von dunklem Blaugrün. Zunächst ergab das, was ich sah, keinen Sinn, doch dann erkannte ich, dass ich auf eine große Insel im Meer blickte. So musste die Welt für einen am Himmel kreisenden Adler aussehen, begriff ich. Die große Höhe, in der ich schwebte, beunruhigte mich kein bisschen, wie es in Träumen so geht, genauso wenig, wie ich mir die Frage stellte, wieso ich überhaupt fliegen konnte. Träume spielen in einer anderen Welt, in denen es keine Vergangenheit gibt, die die im Traum erlebten Erfahrungen nach sich zieht.
Ich flog tiefer über die kleine Insel (irgendwie wusste ich, wie man das macht) und begann Einzelheiten zu erkennen, die zuvor unsichtbar gewesen waren: Schiffe auf dem Meer, die aussahen wie Spielzeugboote, juwelenartige Städte mit weißen Mauern und roten Dächern, Vieh, kaum größer als Ameisen, das auf den Hängen der Hügel graste.
Ich begann die Insel zu umkreisen und sah, dass das weindunkle Meer etwa eine Legionärsmeile von der Küste entfernt (Entfernungen lassen sich im Flug nur sehr schwer schätzen) aufgewühlt wurde. Es brodelte und schäumte, als bräche tief am Meeresboden ein Vulkan aus. Dann türmte sich der Schaum auf und begann menschliche Gestalt anzunehmen.
Wenig
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