Die schlafenden Hüter - Das Marsprojekt ; 5
»Das ist alles, was ich dazu zu sagen gedenke. Hat jemand Fragen zu anderen Themen?«
Er sah in die Runde. Kein Handzeichen. »Dann danke ich für Ihre Aufmerksamkeit.«
Damit verließ er das Podium. Es war die kürzeste Pressekonferenz seiner Amtszeit.
»Gut, hier bin ich«, sagte Yin Chi und musterte den großen Bildschirm, auf dem der Mars zu sehen war, wie er aus etlichen Tausend Kilometern Entfernung aussah. Nur die Bahnen der Satelliten und Raumschiffe, die als dünne Striche eingeblendet waren, sah man so natürlich nicht. »Was gibt es so Dringendes?«
Jed Latimer fuhr sich über die Glatze, auf der sich die Deckenstrahler spiegelten. »Also, die Anregung, alle Kommunikations-Protokolle zu sichten und noch einmal nachzurechnen, kam von Yules Whitehead –«
»Woher weiß der, was wir vorhaben?«, hakte Yin Chi sofort nach.
Pigrato hüstelte. »Die Kinder nehmen es offenbar nicht so genau mit der Geheimhaltung.«
Der Chinese warf ihm einen skeptischen Blick zu. »Gefällt mir nicht, muss ich sagen. Und weiter?«
Latimer nickte dem aufgeregt wirkenden Mann zu, der vor dem Schirm saß und das dort zu sehende Bild mit ein paar Handgriffen in Bewegung setzte.
»Die Simulation zeigt die Konstellationen am 7. März mittags«, erklärte Latimer und zeigte auf eine verwaschene Stelle über dem Ostende der Valles Marineris. »Hier, das ist der Sandsturm. Die MARTIN LUTHER KING hat die Stelle um diese Zeit überflogen, aber keine Funkverbindung zur Expedition herstellen können. Das ist bei Sandstürmen dieser Art oft der Fall, weil sie elektrisch aufgeladen sind.«
»Deswegen nennt man sie Sandteufel«, warf Pigrato ein.
»Genau. Doch gleichzeitig hat sich Carl über das Kom-System gemeldet.«
Pigrato sah Yin Chi an. »Das hat mich damals schon gewundert. Wieso er zur KING durchdringen konnte mit dem schwachen Sender seines Raumanzugs – und aus einer Höhle! –, während von den beiden Fahrzeugen kein Pieps zu empfangen war.«
Nun stutzte auch der Chinese, der eine Ausbildung als Elektroniker hatte. »Das ist in der Tat seltsam.«
Jed Latimer räusperte sich vernehmlich. »Es kommt noch seltsamer. Wir haben, wie gesagt, in den Protokolldateien nachgesehen. Die Funkverbindung mit Carl bestand von dreizehn Uhr zwei bis dreizehn Uhr vier LMT, Local Martian Time , aber nicht über die KING, sondern über Satellit 1. Bloß stand der zu diesem Zeitpunkt gar nicht über dem Capri Chasma. Nicht mal annähernd.«
Jetzt hatte er die ungeteilte Aufmerksamkeit der beiden Männer.
»Sondern?«, fragte Yin Chi.
»Satellit 1 hatte zu dem Zeitpunkt gerade die Cydonia-Region überflogen, um genau um dreizehn Uhr vier in den Funkschatten des Planeten einzutreten.«
»Die Cydonia-Region?« Pigrato bellte es förmlich.
Latimer nickte. Er wusste, was das hieß. Er lebte schon lange auf dem Mars. Er hatte die Zeit miterlebt, als die von James Faggan geführte Expedition in der Cydonia-Region verschwunden war.
Es war ruhig auf den Straßen der Stadt, als Senator Bjornstadt an diesem Abend nach Hause fuhr – ein deutliches Zeichen dafür, dass er wieder einmal zu lange im Büro geblieben war. Der tiefgelbe Äquatormond hing schwer über den breiten Kronen der Dornenbäume und durch das halb geöffnete Fenster drang ein leichter, ferner Rauchgeruch herein.
»Halten Sie einfach vor der Einfahrt«, sagte der Senator zu seinem Chauffeur, als sie in die Straße zu seiner Villa einbogen.
»Alles klar«, sagte der und brachte den Wagen sanft am Straßenrand zum Stehen. »Gute Nacht, Senator.«
»Danke, Ihnen auch.« Es war immer noch warm, als er ausstieg. Der Sommer versprach, wieder heftig zu werden.
Bjornstadt wusste, dass man ihm bisweilen nachsagte, er könne in die Zukunft sehen. Er unternahm nichts, um dieses Gerücht aus der Welt zu schaffen: Ein solcher Ruf war durchaus nützlich. In letzter Zeit wünschte er sich allerdings, es wäre mehr gewesen als nur ein Gerücht.
Allerdings musste er vor sich selber auch zugeben, dass es ab und zu Momente gab, in denen ihm war, als flüstere ihm eine unhörbare Stimme etwas zu …
Jetzt gerade zum Beispiel.
Er sah sich um. Der Wachposten nickte ihm zu, ein dunkles Gesicht in der Nacht. »Lala salama«, sagte er. Schlafen Sie gut.
Da, eine andere Stimme. »Senator?« Er kannte diese Stimme. Auch das Gesicht des Mannes, der da von der Straße her auf ihn zutrat, kam ihm bekannt vor.
Der Wachposten war mit drei raschen Schritten bei ihm, stellte sich vor ihn, das Gewehr
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