Die schlafenden Hüter - Das Marsprojekt ; 5
einfach keine derartigen Aktivitäten. Ein paar halbherzige Demonstrationen, die Splittergruppen der Bewegung hier und da veranstalteten, das war alles. Dabei hatte jedermann – auch er – fest damit gerechnet, dass die Heimwärtsbewegung nach der gestrigen Erklärung des Präsidenten zu zorniger Hochform auflaufen würde.
Nun ja. Gut möglich, dass das noch kam.
Dann traf der lange erwartete erste Bericht des Instituts für Materialkunde der Universität Brasilia ein, die Untersuchungen des blauen, glasartigen Materials betreffend. Man hatte unter großen Mühen ein gerade mal 2,1 Gramm schweres Stück davon abgelöst, untersucht und dann einen fünfhundert Seiten umfassenden »vorläufigen« Bericht voller Formeln, Diagramme und Schaubilder verfasst.
Bjornstadt überflog die für Laien völlig unverständlichen Seiten nur stirnrunzelnd und las dann die Zusammenfassung der Ergebnisse. Bei dem Material handele es sich, so die Wissenschaftler, um eine Art Universalmaschine aus nur molekülgroßen Einheiten, die zu jedweder Tätigkeit programmiert werden konnten. Das Material konnte sich bewegen, jede beliebige Form annehmen, Löcher in feste Gegenstände bohren, Energie- und Magnetfelder aller Art beeinflussen und mechanischem Druck in nahezu unbegrenztem Maß widerstehen. Weswegen es so schwierig gewesen war, etwas davon für Analysezwecke zu gewinnen.
Wie das jedoch alles genau vor sich ging, entzog sich dem Verständnis noch weitgehend. Die Molekularanalyse hatte Ergebnisse erbracht, die grundlegenden chemischen Lehrsätzen widersprachen – da waren Atome miteinander verbunden, die sich sonst niemals miteinander verbinden ließen oder nicht auf die Art, wie sie es hier taten; es waren sogar atomgroße Gebilde ausgemacht worden, die sich keinem Element des Periodensystems befriedigend zuordnen ließen.
Mit anderen Worten: Die Untersuchungen verrieten nicht, wie man so etwas wie dieses blaue Glas – offiziell hieß es »synthetische universell programmierbare Materie« oder abgekürzt SUPROM – herstellte. Aber sie bestätigten die von Professor Caphurna aufgestellten Theorien. Neu war die Erkenntnis, dass das Material auch ungeheure Mengen an Energie zu speichern imstande war, und zwar aus fast jeder Energiequelle – aus Sonnenlicht genauso wie aus einer elektrischen Stromleitung.
»Senator«, meldete sich seine Sekretärin plötzlich über die Sprechanlage, »hier ist Mister Hugo Laurenzin; er möchte Sie sprechen.«
Bjornstadt hob die Augenbrauen. Laurenzin? Was wollte der? Waren sie verabredet? Er erinnerte sich nicht, aber Laurenzin war ein einflussreicher Abgeordneter, Vorsitzender einiger maßgeblicher Ausschüsse, unter anderem für Sicherheitsfragen, Waffenkontrolle und, ganz wichtig, Finanzen – kurzum: jemand, der auch unangemeldet kommen durfte.
»Ich lasse bitten«, sagte er also und fragte dann, an den Bildschirm gewandt: »KI? Habe ich einen Termin mit Hugo Laurenzin?«
»Nein«, erwiderte die gleichmütige synthetische Stimme der künstlichen Intelligenz. »Aber ich kann Ihnen seine Adresse nennen, wenn Sie wollen.«
Bjornstadt verdrehte die Augen. Manchmal war die Dummheit dieser KI erschütternd. Wieder einmal nahm er sich vor, sie demnächst rekalibrieren zu lassen, wohl wissend, dass er es wahrscheinlich wieder vergessen würde.
Die Sekretärin öffnete die Tür. Hugo Laurenzin war nicht nur einflussreich, er war auch einer der ältesten Abgeordneten und unfassbar mager. Er trug altmodische Anzüge, die viel zu warm für Afrika waren und ihm dermaßen um den Hals und die Arme schlotterten, dass man unweigerlich den Impuls verspürte, ihn zu stützen. Erst wenn man seine Augen sah – wachsame, intelligente, von unruhiger Energie sprühende Augen –, begriff man, dass dieser Mann alles andere als hilfsbedürftig war.
Im Gegenteil: Er war gefährlich.
Bjornstadt war aufgestanden, um seinem Besucher entgegenzugehen, geleitete ihn zu seiner Sitzecke, bot ihm Platz an, fragte ihn, ob er Kaffee wolle. Das Übliche eben. Laurenzin winkte ab. »Danke. Ein Glas Wasser vielleicht.«
Als es vor ihm auf dem Tisch stand und die Sekretärin die schalldichte Tür wieder hinter sich zugezogen hatte, beendete Laurenzin den Small Talk, zog ein Blatt Papier aus der Brusttasche und legte es vor Bjornstadt hin. Etwas Bedrohliches schwang in der Art mit, wie er es tat.
Bjornstadt nahm es auf. Es war eine Kurznotiz über seinen Anruf bei der Raumbehörde, die TERESCHKOWA betreffend.
»Was ist
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