Die schlafenden Hüter - Das Marsprojekt ; 5
Karten und Satellitenbilder dieser Gegend wieder und wieder studiert und sich alles genau erklären lassen. Die Cydonia-Region war relativ flach, gekennzeichnet nur durch eine Handvoll kleiner Vulkankrater und einige geologisch etwas rätselhafte Bergformationen, und bildete das Grenzgebiet zwischen der Hochebene Arabia Terra im Osten, die übersät war mit großen, nach namhaften Wissenschaftlern benannten Kratern, und der Tiefebene Acidalia Planita, die in grauer Vorzeit vermutlich einmal der Grund eines marsianischen Meeres gewesen war. Das Geröll und der feine Sand am Boden hatten einen ungewohnten Stich ins Gelbe, was allerdings auch an den Lichtverhältnissen liegen mochte. Die Sonne stand weit im Westen, an einem seltsam metallisch schimmernden, beinahe violetten Firmament.
»Wir befinden uns ziemlich genau an den errechneten Koordinaten«, fuhr Roger Knight fort. Man hörte in der Tiefe das erkaltende Triebwerk knacken, ein Laut, der sich über die Hülle im ganzen Schiff verbreitete. »Die Formationen, die Sie in südlicher Richtung sehen, nennt man ›Die Stadt‹. Etwa zwanzig Kilometer von uns aus im Osten – gerade noch zu erkennen – liegt der berühmte Berg mit dem sogenannten ›Marsgesicht‹ .«
Pigrato hörte, wie das Mädchen dem Jungen zuflüsterte: »Du sagst ja gar nicht ›galaktisch‹.« Was dieser mit einem unleidigen »Jaja« beantwortete.
»Okay«, erklärt Pigrato und erhob sich. »Steigen wir aus.«
Das »Marsgesicht«, ausgerechnet. Man nannte diesen Berg so, weil er, wenn man ihn unter den richtigen Lichtverhältnissen und mit nicht allzu guter Auflösung aus dem All fotografierte, manchmal so aussah, als sei er ein riesiges, in Fels gehauenes menschliches Antlitz. Nahm man ihn genauer in Augenschein, entpuppte er sich als ein simpler, mehrere Kilometer durchmessender und von Gesteinsrutschungen, wie sie auf dem Mars häufig waren, verunstalteter Berg. Aber ausgerechnet bei den ersten Aufnahmen der Marsoberfläche durch die Sonde Viking-1 vor über hundert Jahren, im Jahre 1976, hatte die Sonne so gestanden, dass in einem Spiel aus Licht und Schatten der Eindruck eines künstlichen Gesichts erweckt wurde, was jahrzehntelang immer wieder für kühne Spekulationen gesorgt und womöglich einst auch die tragische Entscheidung der Forschergruppe um James Faggan für dieses Expeditionsziel beeinflusst hatte.
Und nun stellte sich heraus, dass die Wahrheit noch viel unglaublicher war als alles, was man in der Vergangenheit gemutmaßt hatte.
Die Frage war, dachte Pigrato, als er die Schleuse passiert hatte und das ganze weite, seltsam konturlose Panorama der Cydonia vor sich sah, ob sie hier überhaupt einen Zugang zur Station der Aliens vorfinden würden. Die Funkpeilung von Carls Anruf damals über den Satelliten: Was besagte es schon, dass sie hierher wies? Nur, dass sich die Station der Aliens hier befinden musste – aber sie konnte in Hunderten von Metern Tiefe verborgen liegen!
Deswegen hatten sie noch einen Alternativplan ausgetüftelt. Sollten sie hier innerhalb vernünftiger Zeit nichts finden, was ihnen weiterhalf, würde das Shuttle wieder starten und Christine Faggan ans Ostende der Valles Marineris bringen, zu den gläsernen Höhlen. Dort würde sie versuchen, denselben Weg wie seinerzeit ihr Sohn Carl zu gehen. Nur dass sie einen Peilsender bei sich tragen würde.
Zhao und Erkmen waren schon dabei, die Ausrüstung auszuladen, allem voran die Bestandteile der Tunnelfräse. Das würde für einen möglichen weiteren Flug des Shuttles viel Gewicht und damit Treibstoff sparen. Und sollte die Fräse tatsächlich zum Einsatz kommen, dann sowieso hier.
Pigrato kletterte die schmale Leiter hinab, wie immer an der Unhandlichkeit seines Raumanzugs leidend. Wie diese altgedienten Marssiedler das machten, so locker-flockig durch die Gegend zu turnen, würde ihm ewig ein Rätsel bleiben.
Schließlich stellte irgendjemand die Frage, auf die er im Augenblick auch keine Antwort wusste: »Und jetzt?«
Kapitän Mahmoud Al Salahi, der Kommandant der MARTIN LUTHER KING, studierte wieder einmal die Vorratslisten und Verbrauchsrechnungen, die ihm sein Lademeister zusammengestellt hatte, und verglich sie mit Flugbahnberechnungen seiner Navigatorin.
Als er seinerzeit die Entscheidung getroffen hatte, angesichts der sich überschlagenden Ereignisse auf dem Mars nicht wie geplant zur Erde zurückzukehren, sondern in der Umlaufbahn zu bleiben, um die Siedler im äußersten Notfall evakuieren
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