Die Schlaflosen
schmettern!
Margot lacht. Rottmann soll wissen, dass sie ihm den Entzug seiner Aufmerksamkeit nicht übelnimmt, ja dass sie gar nichts von ihm erwartet, dass sie ganz ohne Neid seine auf die Frau gerichteten Blicke mit ansehen kann. Sie lehnt sich zurück und denkt, dass das wirklich eine Freiheit ist. Sich zurücklehnen und Zuschauerin sein.
Das wäre doch gar nicht schlecht, so eine Arie, sagt Rottmann und denkt an seine frühere Geliebte Sonja. Dabei blickt er auf Margots linken Mundwinkel, der etwas niedriger liegt als der rechte. Ãberhaupt ist ihr Gesicht merkwürdig schief, denkt er, ein Eindruck, der durch die stets verrutschte Kappe noch verstärkt wird. Es kommt ihm vor wie die Gesichter, die er damals, als er noch Künstler war, gemalt hat, und in denen immer minimale Verzerrungen vorkamen, wie etwa so ein schräger Mundwinkel.
Fragen Fragmente
Inge Moll gesellt sich dem Grüppchen von Leuten zu, die ratlos im blauen Salon zusammenstehen und MutmaÃungen, Gerüchte und Befürchtungen austauschen.
Was ist jetzt mit diesem Schlafmenschen? Kommt er endlich? Weià man was?
Nichts weià man, gar nichts, sagt jemand.
Ein junger Mann beteuert, der Schlafpapst sei letzte Woche noch in einer Talkshow zu sehen gewesen, ohne jedoch zu wissen, in welcher. Sogleich werden auch ein paar iPhones gezückt, obwohl in der Einladung zu der Veranstaltung darum gebeten worden war, doch möglichst auf Online-Kontakte während dieses Wochenendes zu verzichten. Erst dann werde man sich vollkommen auf den in Gang zu setzenden heilenden Prozess einlassen können. Aber, wie zu erwarten, haben sich nicht alle Teilnehmer daran gehalten, sodass auf der Stelle wild herumgegoogelt wird. Niemand jedoch kann diese Talkshow finden, und schon wird der junge Mann mit schrägen Blicken beworfen. Er selbst hatte tatsächlich sein iPhone zu Hause gelassen. Das gibtâs doch nicht, das kann doch nicht wahr sein, verdammt noch mal, so eine Zeitverschwendung. Wollen die uns fertigmachen, diese Gesundbetermafia, ich habâs ja gesagt â¦
Zwei oder drei Gäste sind so verärgert, dass sie ihr Gepäck aus den Zimmern holen, ohne zu bezahlen das Hotel verlassen und mit ihren Wagen nach Berlin zurückfahren.
Fassungslosigkeit breitet sich aus. Dem hinzukommenden Sandow stehen sichtbar SchweiÃtropfen auf der Stirn. Er kann auch nicht weiterhelfen. Sofort umringt, erstattet er eine Art Bericht. Frau von Bülow und er hätten die ganze Zeit nichts anderes getan als im Internet und telefonisch nach dem Professor zu suchen. Aber es sei einfach nichts Neues herauszufinden. Sie hätten mit allen Polizeistellen der Region telefoniert, hätten versucht, Leute zu kontaktieren, die als Referenz in dem Werbematerial des Schlafpapstes genannt sind, hätten bei dem Fernsehsender angerufen, wo er als Teilnehmer in einer Talkshow gewesen sei, und sie hätten sich mit verschiedenen Zeitungen und mit den dortigen Redaktionen in Verbindung gesetzt. Aber nirgends habe man eine brauchbare Auskunft über den Gesuchten erhalten können. Es sei, als habe es ihn nie gegeben, diesen Professor. Frau von Bülow und er selbst seien sprachlos angesichts solcher Rätsel, und es tue ihnen wirklich leid für die Gäste.
Für Sandow beginnt die Sache mehr als unangenehm zu werden, wurde ihm doch zugetragen, man glaube, das Ganze sei vielleicht ein Jux, den sich jemand mit ihnen, den Schlaflosen, geleistet habe. Womöglich sogar in Absprache mit der Hotelleitung, die auf diese Weise ihren dürftigen Umsatz zu steigern versuche. Warum gerade dieses Gerücht? Jetzt schon wieder? Denken die Leute immer als Erstes, dass sie betrogen werden? Vielleicht hat es was mit der allgemeinen Stimmung in der Krise zu tun?
Solche Gedanken gehen Sandow durch den Kopf, aber er gibt nicht auf. Er kann selbst nicht glauben, was da vorgeht. Irgendwie hofft er, dass der Professor früher oder später doch noch auftauchen wird.
Ein paar Leute hocken in der Bibliothek vor dem Fernseher und sehen Tatort. Einige sitzen noch im Speisesaal und vertreiben sich die Zeit mit Essen, ein paar wenige haben sich in ihre Zimmer zurückgezogen, und da und dort hat es sich jemand mit einem Buch oder einer Zeitschrift gemütlich gemacht oder liegt einfach so in einem Sessel, ohne erkennbare Beschäftigung vor sich hin dösend und wartend.
Die Moll steht mit zwei Frauen auf der Terrasse, eine von den beiden
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