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Die Schlaflosen

Die Schlaflosen

Titel: Die Schlaflosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Kolb
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Natürlich auch daran, wie sie die Angestellten hier im Hotel begrüßen, was sie beim Einchecken sagen und auch an der Art und Weise, wie sie ihr Auto parken. Ob sie es mitten hinein in eine breite Lücke stellen oder nah an die bereits parkenden Wagen, sodass noch andere Platz dort finden können. Manche spielen den Bohèmien und geben sich lockerer als sie in Wirklichkeit sind. Manche tun intellektuell und andere behandeln das Personal mit kleinen Witzchen. Leute, die ganz in sich ruhen, die einfach die sind, als welche sie erscheinen, trifft man selten. Das jedenfalls ist Miriams Erfahrung.
    Wenn jemand eine untrügliche Sensibilität für die feinen Symbole gesellschaftlicher Zugehörigkeit, also für Aufsteiger, Insider, Outsider, Schauspieler und Aufschneider hat, dann ist es Miriam. Seit sie denken kann, sind die Leute nicht nur neugierig auf ihre Herkunft, sondern lassen sie auch, meist mit dem Ton ihrer Stimme oder etwa einer kleinen, wischenden Handbewegung, wissen, mit wem sie es zu tun hat. Du brauchst dir gar nichts einzubilden, kann das heißen. Oder: Ach du Arme, du hast es sicher furchtbar schwer hier, so fern der Heimat, ich weiß das und behandele dich armes Würstchen mit meiner evangelischsten Sanftmut. Oder: Du exotisches Früchtchen, woher hast du eigentlich dieses Selbstbewusstsein? Oder: Pass nur auf, den Platz, den du hier einnimmst, bestimmen wir. Dieser Platz kann alles Mögliche sein, es kann sogar ein ziemlich angenehmer Platz sein, nur: Wir haben unsere Hand drauf. Oder: Ach wie nett, nur kulturell schwierig, und wie man weiß, gibt das Probleme. Verschiedene Kulturen, ob Japaner oder Eritreer, immer ein kulturelles Problem. So Bülows Mutter, die sich, erfahren wie sie ist, immer zwang, mit Kommentaren zur Braut-Wahl ihres Sohnes vorsichtig zu sein. Gleichzeitig aber verwies sie durch eine Art wortloser Mitteilung ihre Schwiegertochter dahin, wo sie sie haben wollte, nämlich auf den Platz einer zu Erziehenden. Auch das ist Miriam nicht entgangen, trotz all der freundlichen Gesten ihrer Schwiegermutter, trotz der schönen Geschenke, trotz des rücksichtsvollen Tons beim Fragen nach ihrer Familie und trotz der oft zum Ausdruck gebrachten Achtung vor Miriams Intelligenz, eine Wertschätzung, die sich aber manchmal so anhörte, als gäbe es einen Grund, erstaunt zu sein.
    Bei der empörten Frau ist es nicht anders als sonst. Miriam erzählt ihr, dass ihr Vater vor vielen Jahren aus Äthiopien auswanderte, um in der damaligen DDR ein Studium aufzunehmen, und dass sie selbst in Dresden geboren sei. Daraufhin kommt das erste ›Ach, Sie Arme‹. Das zweite kommt, als Miriam davon spricht, dass auch sie nach einer schweren Krankheit eine Zeit lang an Schlaflosigkeit gelitten habe.
    â€ºDas tut mir leid, in so jungen Jahren, das ist ja schrecklich, ich weiß ja, wie das ist …‹
    Eigentlich mag Miriam die Frau, und wenn sie ehrlich ist, spürt sie sogar Mitgefühl. Sie hat jedenfalls mehr Sympathie für sie als für manch andere, die heute hier erschienen sind, wie etwa die große Starke mit dem wilden Haar, dem langen Kleid und der mächtigen grünen Kette. Diese Person, denkt Miriam, die aussieht, als wäre sie imstande, so jemanden wie mich mit einem einfachen Dreh ihrer großen Hand in die Luft zu schleudern.
    Ja, es scheint Leute zu geben, die überhaupt keinen Zweifel an ihrem Stand im Sammelsurium der Menschen haben, Leute, die einfach da sind, wo sie sind, und die sich immer obenauf fühlen. Ach was, fühlen, nein, sind. Die nie auf die Idee kämen, sich zu fragen, wohin sie gehören und wo andere sie sehen und ob diese beiden Orte vielleicht nicht ganz übereinstimmen könnten. Auch in Bülows Freundeskreis gibt es solche Leute, und Miriam hat sich nicht selten gefragt, ob sie sie beneiden oder froh sein soll, nicht an ihrer Stelle zu sein. Denn etwas geht ihnen ab im Leben, auf diese Formulierung hat sie sich mit Beat geeinigt. Aber was? Jedenfalls etwas, was das Salz in der Suppe ist. Was den Reiz eines Gegenübers ausmacht. Ein Splitter Irrsinn in der Intelligenz vielleicht, der erst das schöne Schillern eines Menschen ausmacht und seine Klugheit aufblühen lässt. Aber sind denn alle klugen Menschen von Irresein befallen?
    Natürlich – wenn man den Zweifel an sich selbst so versteht, und wenn man weiß, dass man sich immer irren kann! Dann fühlt man sich

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