Die Schlaflosen
doch so was wie irre? Findest du nicht? Wenn das fehlt, ist immer etwas Langweiliges oder Fades dabei â oder Ãberhebliches ⦠Man kennt das doch, Besserwisser, Aufschneider, Blender â¦
So oder so ähnlich spintisieren Miriam und Beat morgens im Bett, wenn sie grade aufgewacht sind und dabei noch leicht verdöst. Das ist die beste Zeit, über dies und das zu reden, einander in den Armen liegend, ihr Ohr auf seiner Brust, in vollkommener Entspannung, manchmal nachdem sie sich geliebt haben, wenn die Gedanken umso freier losflattern und ohne dass jemand etwas von ihnen erwartet, dann können sie einander am besten Dinge sagen, die man sonst schwer sagen kann, ohne die Hemmungen, die stets zurückkommen, wenn die Gedanken wieder ordentlich auf der Erde gelandet sind und sich zum Alltagsgebrauch einpflanzen und aufrichten. In solch leichtsinnigen Momenten haben Miriam und Beat oft darüber sinniert, wie der eine oder andere in ihrem Freundeskreis sich wohl selbst sieht, und was für Anstrengungen er dafür aufbringen muss, eine Position zu verteidigen â¦
Was für Fragen, meine SüÃe ⦠sagt Bülow dann, was für tiefgründige Fragen â¦
Sagst du, murmelt dann Miriam, sagst du so einfach ⦠du warst ja immer klar an deinem Platz. Du kannst dir wahrscheinlich gar nicht vorstellen, wie es ist, sich seinen Platz erkämpfen zu müssen. Du verwöhnter Kerl, du. Und sie knufft ihn in die Seite, küsst ihn auf die Nase: Ihr Blaublüter, ihr profitiert doch noch Jahrhunderte von euren Ahnen, da kann doch einer so doof sein, wie er will â ist doch so, oder?
Und Beat lacht und packt sie und sagt, wenn ich dich nicht hätt ⦠und sie dann: Dann hättste âne andere â¦
Unterirdisch
Die Moll folgt Sandow durch eine offen stehende Tür, die zum Saunabereich führt. Ãber ein paar Stufen geht es hinab bis zur Ebene eines Souterrains, wo sich unter gewölbten Decken ein kleiner Raum ausbreitet, möbliert mit ein paar Liegen, Schemeln und hölzernen Regalen, in denen sich dicke Frotteetücher stapeln. Ein behaglicher Raum, dessen Wände als unverputztes Mauerwerk belassen und in blendendem Weià gestrichen sind. Dahinter, durch eine Glastür getrennt, die Duschen, in denen sich dichter Dampf ausbreitet. Drei Männer stürmen herein, sie kommen von drauÃen, wo ein riesiger hölzerner Badezuber mit kaltem Wasser zur Abkühlung nach der Sauna steht. Sie schütteln sich prustend und pflanzen sich, nackt wie sie sind, vor der Moll und Sandow auf.
Na, Chef, was ist jetzt mit dem Papst? Hat er sich im Keller versteckt?
Sie sagen es, wir holen ihn da raus, lacht Sandow zurück und neigt sich der Moll zu. Die sind schon in Stimmung, raunt er verächtlich, die sind jetzt schon blau ⦠eine gegarte Alkoholleiche in der Sauna, das hat uns grade noch gefehlt.
Die Männer werden vom Dunst des Duschraums verschluckt, von wo Moll und Sandow beim weiteren Abstieg in die Tiefe noch eine ganze Weile eruptive männliche Lacher, Platschen und Klatschen vernehmen.
Ein dunkler Schlund öffnet sich nach unten, die Steintreppe ist arg ausgetreten, die Moll stolpert, und hätte Sandow sie nicht am Handgelenk gepackt, wäre sie gefallen. Sie bittet ihn, sich an ihm festhalten zu dürfen, zu steil geht es hinab. Hier sind die Wände nicht mehr geweiÃt wie weiter oben, sondern aus dunklem Sandstein, da und dort hell ausblühend, und das aus wenigen Lampen herabscheinende Licht ist so trüb, dass die Moll sich mehr auf Sandows Hand verlässt als auf das, was sie sehen kann.
Sie hat schon so manchen Keller besichtigt, ist in nicht wenige dunkle Gänge gestiegen, gefürchtet hat sie sich nie. Im Gegenteil, es regt sie an, verschafft ihr den Kick, der vielleicht sogar das Eigentliche ist, wenn sie über den Grund nachdenkt, warum sie einen Narren an altem Gemäuer gefressen hat. Nie ist es die Architektur, die Kunst der Baumeister allein, sondern die Menschen sind es, die in so einem Gemäuer gelebt haben. Nicht der Stein oder die Form oder die Schönheit oder die Besonderheit der Landschaft, nein, es sind immer die Geschichten der Menschen, die sich ihr aufdrängen und etwas in ihr anklingen lassen, das dann von selbst weitertönt. Geschichten, von denen sie später oft nicht mehr weiÃ, ob sie wahr sind, ob jemand sie ihr erzählt hat oder ob sie aus ihrer eigenen Fantasie kommen, weit
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