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Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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Brocken eingestellt, und sie nun doch nicht zu erhalten, kam ihnen wie ein Diebstahl vor.
    »Du bist so dürr«, sagte der eine. »Du brauchst deine Ration nicht. Wir sind schwerer als ihr Küken.«
    »Deswegen«, mischte Timon sich ein, »erhaltet ihr auch die doppelte Ration.«
    Die beiden Männer beachteten Timons Einwurf nicht. Einer streckte die Hand aus und zog vorsichtig an Gordians Schale, und als der Widerstand leistete, zog er stärker, bis ein regelrechtes Tauziehen mit vier Händen daraus wurde.
    »Er hat Nein gesagt«, rief Timon und versuchte, seinem Freund zu helfen. Der zweite Mann hinderte ihn daran, und es entstand ein wildes Handgemenge. Schließlich hatte Timon genug. Er verpasste dem Mann einen Kinnhaken, so dass er nach hinten taumelte, und kurz darauf schüttete Gordian dem anderen die Suppe ins Gesicht und nutzte dessen momentane Verwirrung aus, um ihm die Holzschale auf den Kopf zu schlagen.
    Vermutlich hätten die beiden sie im nächsten Moment mit ihrer ganzen Kraft überrollt und verprügelt, glücklicherweise griffen jedoch die Wachmannschaften ein und zerrten die anderen Gefangenen wieder zu ihrem Platz zurück. Aber der hasserfüllte Blick der beiden Männer entging Timon nicht.
    »Ich glaube, wir sollten uns in den nächsten Tagen besser in der Nähe von Wachen aufhalten«, murmelte er und teilte Gordians Freude über diesen billigen Sieg nicht.
     
    Die Sonne stand schon tief im Westen, als Timon sich, in seinem Seil hängend, ein wenig Ruhe gönnte und die kleine Hacke zwischen seine Schenkel presste. Oben sollten gleich die Gefangenen an den insgesamt sieben Seilwinden ausgewechselt werden, eine stündliche Prozessur, bei der die Küken zuvor hochgehievt wurden. Timon hatte diesen Wechsel im Laufe der vier Jahre schon beinahe fünfzehntausend Mal mitgemacht.
    Als er langsam nach oben gezogen wurde, begann sein Seil ein wenig zu schaukeln, doch das war nicht gefährlich, und Timon achtete nicht darauf. Sein Blick schweifte über das Halbrund des Steinbruchs, das in diesem Moment ein Stück Normalität ausstrahlte, sogar eine Ahnung von Frieden. Ein mattes Abendlicht überzog das Gestein mit einem orangefarbenen Schimmer, eine Brise streichelte die Haut, die Bewegungen der Arbeiter wurden träge, die Geräusche wurden leiser, die Aufmerksamkeit der Wachen ließ nach, ihre fordernden Rufe verstummten. Im Talkessel passierte das, was überall auf der Welt zu dieser Stunde geschah: man kam langsam zur Ruhe. Wenn man gar nichts mehr hatte, dachte Timon, blieb einem immer noch die Sicht auf die versinkende Sonne und das Gefühl des Windes im Gesicht.
    Oben erhielt er für die letzte Arbeitsstunde einen kleinen Lederschlauch mit Wasser, den er sich an seinen Schurz band. Er hatte wie immer gerade noch Zeit, sein Seil zu überprüfen und neu um Gesäß und Hüften zu wickeln, dann war der Austausch der Windenarbeiter vollzogen.
    Er stellte sich an den Abgrund und stieß sich ab. Früher kostete ihn dieser Moment am meisten Überwindung, mittlerweile war es eine Bewegung nicht anders als laufen oder kauen, völlig selbstverständlich. Bevor die Kante des Abgrunds seinen Blick versperrte, sah er noch mal zufällig zur Winde und bemerkte, wie ihn einer der beiden Arbeiter dort bösartig angrinste. Es war der Mann, den er vor wenigen Stunden geschlagen hatte.
    Dieses Grinsen war ihm unheimlich … Schnell blickte er zur nächsten Winde, an deren Seil Gordian hing, und erkannte dort den zweiten Streithahn. Timon versuchte, nach der Kante zu greifen, aber es war schon zu spät. Am Seil hängend, glitt er langsam die Felswand hinunter. Ihn packte ein ungutes Gefühl.
    »Gordian«, rief er zu ihm hinüber. »Gordian, halte dich irgendwo fest.« Sein Freund verstand ihn nicht, und Timon wiederholte seine Mahnung mehrmals, während er selbst nach einem kleinen Vorsprung suchte, auf dem er sich halten konnte. Doch er fand keinen.
    Er gestikulierte wild, um sich Gordian verständlich zu machen, doch der winkte Timon zu, so wie er es immer tat.
    In dieser Sekunde rutschte Gordian ruckartig einige Meter tiefer, ein deutliches Zeichen, dass oben etwas nicht stimmte. Timons Verstand arbeitete schnell. Er begriff: Oben täuschte der eine Arbeiter eine Schwäche vor, und nun kämpfte der Partner an der Winde damit, Gordian alleine zu halten.
    Gordians Seil schaukelte bedrohlich hin und her. Sogar von seiner entfernten Position aus konnte Timon die Panik in den Augen seines Freundes sehen. In diesem Moment

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