Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
schüttelte den Kopf.
»Fünf? Zehn, das ist mein letztes Angebot.«
»Wer bist du?«, fragte der alte Mann erneut.
»Du weißt, wo Sadoq ist?«
»Wer bist du?« Der Bettler ließ nicht locker.
Kephallion schluckte. Einem Unbekannten seinen Namen zu nennen, war aus mehreren Gründen riskant. Die Herodianer waren nicht gerade beliebt beim Volk. Am Ende würde nicht der verfluchte Prokurator, sondern er selbst sterben. Oder der Bettler verkaufte seinen Namen an die Spitzel des Antipas, was wenig besser wäre.
Er könnte sich umdrehen und gehen, könnte zurück in den Palast schleichen und den morgigen Tag leben, als sei nichts geschehen. Dann würde sich allerdings nie etwas ändern. Er, Kephallion, war dazu bestimmt, am Rad des Schicksals zu drehen. Er war Gottes Instrument.
»Ich bin Kephallion. Ich bin ein Mitglied der herodianischen Familie und habe wichtige Informationen für Sadoq. Du musst mir glauben.«
»Ich glaube dir«, sagte der Alte. »Wer käme sonst auf die wahnwitzige Idee, sich als Herodianer auszugeben? Komm mit.«
»Was ist mit den Silberlingen?«
»Ich will sie nicht. Nicht von dir.«
Kephallion hörte entfernte Schritte. Endlich. Seit einer Ewigkeit saß er in diesem düsteren, nur von einem winzigen Öllämpchen erhellten Raum.
Der alte Bettler hatte ihn zu einem Haus gebracht, den Besitzer geweckt und eine Weile mit ihm geflüstert. Der schwarzbärtige Mann schien skeptisch zu sein, und als er schließlich doch noch zustimmend nickte, warf er einen bösen Blick auf Kephallion. Der Bettler ging davon, und der Schwarzbart durchsuchte Kephallions Taschen, ohne ihn vorher zu fragen. Dann gab er ihm einen Schubs, was wohl heißen sollte, dass er vorangehen musste. Mit etlichen kleinen Stößen dirigierte der Mann ihn durch die kleinen Räume des Hauses, eine versteckte Treppe hinunter und von dort in einen schmalen Gang, in dem sie die Köpfe einziehen mussten. Nach etwa zwanzig Schritten kamen sie in einen anderen Keller und von dort in den Raum, in dem er jetzt saß.
Bei Gott, die Sonne ging gewiss bald auf. Nicht mehr lange und Zacharias und Berenike würden merken, dass er sich nicht im Palast befand.
Die Tür öffnete sich, und der Schwarzbärtige trat ein, gefolgt von einem jüngeren Mann.
»Sadoq?«, fragte Kephallion. Er hatte gehört, dass der Führer der Zeloten nur wenig älter als er selbst war. Sonst wusste er wenig über ihn.
Der Mann, in dem er zunächst Sadoq vermutete, trug gelockte Haare und einen sehr kurz geschorenen Bart. Er sah aus wie tausend andere Männer seines Alters. Seine Augen blickten gelassen, fast gelangweilt, und die weichen, glatten Züge offenbarten nicht die geringsten Anzeichen für Entschlossenheit und Kampfeswillen.
Das konnte unmöglich Sadoq sein, dachte er. Sadoq war ein Held.
»Meine Nachricht ist nur für Sadoq«, bekräftigte er.
»Wenn ich die Nachricht höre, werde ich entscheiden, ob sie für Sadoq ist oder nicht!«
Kephallion reckte das Kinn vor. Mal sehen, wie weit er gehen konnte. »Wenn ich weiß, wer du bist«, erwiderte er, »werde ich entscheiden, ob die Nachricht für dich ist oder nicht!«
Immerhin löste er mit dieser Antwort eine Reaktion in den matten Augen seines Gegenübers aus: sie zuckten verwundert.
Dieser Kerl war ein Schwächling, dachte er. Den konnte er schnell in die Ecke drängen. »Hör zu. Meine Nachricht ist von solcher Brisanz, dass mein Leben davon abhängt, wem ich sie anvertraue. Du weißt, wer ich bin, aber du willst mir nicht sagen, wer du bist. Schön, dann lassen wir das Geschäft sein. Ich reite zurück, und ihr verpasst eine einmalige Gelegenheit, den Römern einen Schlag zu versetzen und gleichzeitig einen Verbündeten eurer Sache am Fürstenhof zu bekommen.«
Der junge Mann überlegte einen Moment. »Ich bin Menahem«, bekannte er. »Ich bin Sadoqs bester Freund und Stellvertreter. Was du ihm erzählen würdest, kannst du auch mir erzählen.«
Das war Menahem? Dieser wankelmütige, leicht einzuschüchternde Bursche war der zweite Mann der Zeloten, ein Helfer des Herrn? Kephallion konnte es kaum glauben. Er hätte dem Kerl nicht mal sein Pferd anvertraut, und der sollte maßgeblich an Gottes Kampf gegen die Eindringlinge beteiligt sein? Sadoq musste eine sentimentale Stunde gehabt haben, als er ausgerechnet diesem Menahem eine so bedeutende Stellung übertrug.
Aber für solche Überlegungen war jetzt keine Zeit. Menahem war nun einmal, was er war, und es gab jetzt keinen weiteren Grund,
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