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Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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Moment fielen Schatten über ihn, die Schatten des Römers und seines gezückten Schwertes.

11
    »Shma Israel, adonaj elohenu adonaj echad.« Höre, Israel, der Ewige, unser Gott, der Ewige ist einzig. Kephallion hatte das Shma Israel , das Glaubensbekenntnis, schon tausende Male gemurmelt, jeden Morgen nach dem Aufstehen und jeden Abend beim Schlafengehen. Es war der erste Satz, den er als Kind gelernt hatte, und es würde der letzte Satz sein, der je über seine Lippen käme. Aber noch nie hatte er ihn aus den Kehlen so vieler Menschen gleichzeitig gehört. Zur Einweihung der neuen galiläischen Hauptstadt Tiberias waren Zehntausende gekommen.
    Mit der rechten Hand vor Augen rezitierten die Menschen weiter: » Baruch shem kewod malchuto le’olam wa’ed … « Kephallion jedoch, der sich sonst immer penibel an die Bräuche hielt, ließ dieses Mal beim Anblick der unüberschaubaren Massen die Hand sinken und seinen Blick über die gigantische Kulisse schweifen, während die Verse des Shma Israel dunkel und gleichmäßig wie Wogen an sein Ohr schlugen.
    Von der erhöht stehenden Tribüne aus übersah er den gesamten Platz. Tief hängende Wolken machten den Himmel niedrig, und ab und an überflutete ihn ein Sonnenstrahl mit Licht und Wärme. Diesen Tag also hatte Gott ihm zum Sterben zugedacht.
    Der Platz selbst war einem römischen Forum nachempfunden. Umrahmt wurde er von einem hohen, dreireihigen Säulengang aus weißgrauem Marmor, der in Ephesos abgebaut wurde. In der Mitte des quadratischen Platzes erhob sich ein Obelisk, der jedoch nur mit Ornamenten statt mit Abbildungen versehen war. Die elementarsten Regeln jüdischen Glaubens waren beim Bau von Tiberias eingehalten worden, dennoch erkannte Kephallion überall den Einfluss der Unbeschnittenen – in der Architektur der Gebäude, in der Arena, die verpöntem Sport Raum geben würde, im Theater, in dem griechische Götter dargestellt würden, in der Bibliothek, die profane, ja, ketzerische Schriften beherbergen sollte. Mehr denn je war er überzeugt, dass dieser Entwicklung ein Schlusspunkt gesetzt werden musste.
    Er sah nach rechts, wo Antipas und seine Frau mit der Hand vor Augen beteten. Neben ihm Pilatus und Salome. Jetzt wäre die beste Gelegenheit, hinter ihre Sessel zu treten und ihnen den Dolch in den Rücken zu rammen, denn die jüdischen Wachen beteten mit ihren Glaubensbrüdern und die römischen hatten nur Augen für das ungewöhnliche Spektakel. Aber es war frevlerisch, während des Glaubensbekenntnisses eine Bluttat zu begehen. Zumindest jedoch konnte er sich schon einmal näher an seine Opfer heranschleichen.
    »Ve’ahavta et h’ e-lokecha bechol lewawcha …« Den Ewigen, deinen Gott, sollst du lieben mit deinem ganzen Herzen … Bei diesen Worten ging er wie selbstverständlich in ihre Nähe.
    »Uwechol nafshecha …« Mit deiner ganzen Seele. Kephallion trat hinter die Sessel.
    »Uwechol me’odecha. « Mit deinem ganzen Vermögen. Ja, mit allem, was er besaß, wollte Kephallion Gott dienen, sogar mit dem Kostbarsten, das ein Mensch zu geben hatte, dem eigenen Leben. Denn es gab keinen Zweifel, dass die Wachen ihn nach der Tat sogleich mit ihren Schwertern erschlagen würden.
    Kleine Schweißtropfen bildeten sich auf seiner Stirn und liefen ihm über die Wangen. Er nestelte in seinem Gewand herum und griff nach dem Dolch. Das Shma Israel war zu Ende und damit der religiöse Teil der Eröffnungsfeier. Pilatus beugte sich zu Salome, und Kephallion hörte ihn sagen: »Verehrte, ich habe kein Wort verstanden. Eure Sprache ist entsetzlich nuschelig und hört sich an, als würde jemandem der Hals umgedreht werden. Uwechol, bechol, lewawcha: ich kann nicht glauben, dass man sich so verständigen kann.«
    »Und doch ist es so«, erklärte Salome geduldig. »Die Menschen haben soeben ihre Treue zu Gott bekräftigt.«
    »Ach ja, dieser mysteriöse Gott, der, wie ein Strauchdieb, kein Gesicht hat. Also ich weiß nicht, an einem Gott sollte doch etwas dran sein, Muskeln, zum Beispiel, Augen und Lippen, ein Geschlecht … Etwas zum Erfreuen, du verstehst? Nicht mal einen Namen hat er, nur diese seltsamen vier Buchstaben, JHVE, zusammen ausgesprochen also Jahve.«
    »Du hast gerade ein Sakrileg begangen«, klärte Salome den Prokurator auf. »Es ist verboten, den Namen Gottes auszusprechen.«
    »Wozu hat er dann überhaupt einen?«
    »Es ist kompliziert, ich weiß, aber du solltest versuchen, die wichtigsten Regeln zu lernen.«
    »Beim Jupiter, ich bin

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