Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
weiß noch nicht, warum du das getan hast, denn ich kann nicht glauben, dass diese riesigen Summen für Liebesdienste geflossen sein sollen. Aber eines ist sicher: Du hast über verschlungene Wege etwa ein Zehntel aller Einnahmen verschenkt. Du hast Ashdod um ein Vermögen betrogen.«
Es hatte keinen Sinn, es zu leugnen, und Herodias war nicht die Frau, die bettelte und sich wand. Nicht mehr. Nicht vor diesem Mann, von dem sie seit Salomes Geburt nichts anderes als Vorwürfe gehört hatte. Jetzt zog sie den Angriff dem Rückzug vor. » Ich bin Ashdod«, erwiderte sie. »Ich habe die gleichen Ansprüche wie du, und ich kann mit den Einnahmen machen, was ich will.«
»Du bist eine Hure und Betrügerin. Ich werde Salome die Augen über dich öffnen.«
Herodias lachte lauthals. »Ich bebe vor Angst. Siehst du, wie ich unter deinen Drohungen zusammenbreche? Theudion, du bist ein Einfaltspinsel. Jede Eidechse macht mich mehr fürchten als du. Los, sage Salome, was du weißt. Mach schon. Gehe zu ihr, sie wohnt keine zwei Türen von hier. Du kannst ihr nichts erzählen, was sie schockiert. Sie weiß so gut wie alles über mich und Coponius, über mich und Antipas, und sie ahnt, dass ich Geschäfte hinter ihrem Rücken mache. Diese Dinge interessieren unsere Tochter doch überhaupt nicht. Sie ist sanft, sie denkt nur an Wohltätigkeit und an den Griechen. Mit der Drecksarbeit des Regierens will sie nichts zu tun haben und sieht daher geflissentlich weg. Ich habe sie zu dem gemacht, was sie ist, nicht du. Im Zweifel wird sie zu mir halten.«
Für einen Moment schien sie Theudion aus der Fassung gebracht zu haben. Er war sich nicht sicher, wie viel von dem, was sie sagte, der Wahrheit entsprach, aber er traute Herodias alles zu. Sie war eine typische Herodianerin, frevlerisch, hinterlistig und ohne Ehre.
Trotzig verschränkte er die Arme vor der Brust. »Ich gehe mit diesem Fall von Korruption zu Pontius Pilatus. Und ich schreibe an Kaiser Tiberius.«
Herodias riss die Augen auf. »Bist du wahnsinnig? Das kann uns alles kosten, was ich aufgebaut habe, du Narr. Wir werden wieder in Armut und Bedeutungslosigkeit fallen, wir werden …«
Er schüttelte heftig den Kopf. »Du und Salome, ihr werdet arm und bedeutungslos werden, nicht ich.«
»Theudion, das darfst du nicht tun«, bettelte Herodias. »Denk doch an … an …« Ihr fiel nichts ein.
»An wen?«, fragte er. »An zwei aufrührerische Weiber, die sich allem Brauchtum entziehen?«
»An deine Ehre.«
»Meine Ehre wird durch die Offenlegung deiner Machenschaften nicht besudelt, sondern wiederhergestellt.«
Herodias schluckte. Entsetzt suchte sie nach einem Ausweg. »Drei Tage«, bettelte sie. »Gib mir drei Tage. Ich werde alles ins Reine bringen, mit dem Prokurator sprechen …«
»… und mir allein die Regentschaft für Ashdod übertragen?«
Sie nickte.
»Und Salome dazu bringen, dass sie abtritt oder wenigstens jeden Versuch unterlässt, Ashdod unrein zu machen?«
»Auch das.«
»Gut. Drei Tage, Herodias. Lässt du die Frist verstreichen, lege ich offen, was ich weiß.«
Mit diesen Worten hatte er das Gemach verlassen und die Tür lautstark hinter sich zugeworfen.
Herodias biss sich in die Faust. Sie ging alle Optionen durch, die ihr blieben. Nur eines kam nicht in Frage: Theudions Forderung nachgeben und die Macht über Ashdod an ihn abtreten. Sie wäre wieder ein Niemand, nicht mehr als seine Frau, die er kränken konnte, der er sogar seine Zweitfrau mit Billigung der thora vorziehen durfte. Nie wieder, schwor sie sich.
Vielleicht konnte sie mit dieser Sache zu Salome gehen. Ihre Tochter gefiel sich in der Rolle einer Fürstin. Wenn Herodias ihr in schlimmsten Farben ausmalen würde, was geschähe, wenn Theudion seine Drohung wirklich wahr machte … Pilatus hingegen: Wie sollte sie ihm diesen Skandal erklären? Sollte sie ihn vielleicht bestechen wie Coponius? Und was, wenn Theudion Pilatus überging und sich direkt an den Kaiser wandte?
Herodias versuchte noch einige Augenblicke, die einfachste und schlimmste Lösung ihres Problems zu verdrängen, doch schließlich blieb nur diese eine übrig.
Salome las gerade in den leichten, humorvollen Gedichten des römischen Dichters Horaz, dessen Verse ihr stets gute Laune machten, als ein Geräusch sie unterbrach. Berenike schlüpfte rasch zur Tür herein, wie sie es manchmal tat, um ihr den neuesten Hofklatsch zu berichten. Als wären die Wände voller Ohren, kuschelte Berenike sich nahe an Salome
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