Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
heran und schirmte ihren redseligen Mund mit einer Hand ab.
»Ich habe nicht viel Zeit«, begann sie halblaut. »Kephallion wartet sicher schon auf mich. Ich wollte dir nur sagen, dass ich deinen Vater eben gesehen habe. Er kam aus dem Gemach deiner Mutter und ging geradewegs an mir vorbei, ohne einen Gruß. Ich glaube, er hat mich nicht einmal gesehen. Er hatte eine Miene, ich kann dir sagen, eine Gewitterwolke ist nichts dagegen.«
Salome legte ihr Buch beiseite. »Seltsam. Er hat seinen Besuch nicht angekündigt. Hoffentlich ist in Ashdod alles in Ordnung.« Wahrscheinlicher war, dass Theudion eine Auseinandersetzung mit Herodias hatte, vielleicht wegen deren Seitensprünge, aber diese Befürchtung konnte sie Berenike natürlich nicht mitteilen. Ein Geheimnis war bei ihrer Freundin nicht gut aufgehoben, da könnte sie es auch gleich mit roter Farbe an die Wände schreiben.
»Vielleicht sollte ich gleich zu ihr gehen und sie fragen.«
»Warum fragst du ihn nicht selbst?«
»Wenn er hätte zu mir kommen wollen, hätte er es auch getan«, erwiderte sie.
»Ihr versteht euch wohl nicht gut, wie?«
»Er behandelt mich in etwa so, wie Kephallion dich behandelt. Jetzt kannst du dir sicher ein lebendiges Bild machen.«
Berenike schürzte die Lippen. »Du bist schon wieder garstig zu mir, Salome. Seit du mit dieser arabischen Hure befreundet bist, beachtest du mich überhaupt nicht mehr.«
»Ich stelle fest, dass deine Sprache der deines Mannes immer ähnlicher wird. Was meine getrübte Freundschaft zu dir angeht, so hast du dir das selbst zuzuschreiben. Diese komplizierten Verabredungen mit dir, die Heimlichkeiten, damit Kephallion nichts erfährt …«
»Harithas Heimlichkeiten liegen dir wohl mehr, wie? Was macht ihr eigentlich immer zusammen? Verabreicht sie dir ein Zaubermittel?«
Salome lachte. »Wie kommst du denn auf einen solchen Unsinn?«
Berenike zog erneut ein beleidigtes Gesicht. »Nun ja – du siehst seit einigen Wochen verändert aus. Irgendwie …«
»Ja?«
»Irgendwie hübscher. Dein offenes Haar, der Schmuck, dieser dunkelgrüne Schleier über deiner Tunika, das alles hat etwas Geheimnisvolles.«
Salome strahlte. »Fällt dir noch etwas auf?«
»Ja. Du hustest nicht mehr. Und deine Figur – du warst ja schon immer schlank, doch deine Hüften sind jetzt irgendwie runder als vorher, und auch die Brüste sind …«
»Sind was?«, fragte Salome mit großen Augen.
»Straffer. Man könnte fast neidisch werden.«
Salome strahlte über das ganze Gesicht und gab Berenike einen Kuss auf die Wange. »Du bist ein Schatz. Ich könnte dir stundenlang zuhören. Weißt du überhaupt, wie gut das tut, dass nach all diesen Jahren jemand zu mir sagt, ich sei schön, und dass ich selbst auch wirklich daran glaube? Als Kind war ich doch so …«
»Hässlich.«
»Danke, dass du es so direkt ausdrückst, Liebes.«
»Früher war ich die Schönste.«
»Das bist du im Grunde noch immer, Berenike. Deine herrlichen Locken, deine helle, vornehme Haut … Wenn Kephallion nicht wäre …«
»Darüber will ich jetzt nicht reden«, rief Berenike und sprang auf. »Ich muss mich auf den Weg machen.«
Sie wollte eben die Tür öffnen, als eine Dienerin hereinkam und Salome eine Botschaft überbrachte, die ein römischer Legionär bei ihr abgegeben hatte. Berenikes Neugier war stärker als die Furcht, Kephallion zu verärgern.
»Wolltest du nicht gehen?«, fragte Salome.
»Ist die Botschaft vom Prokurator?«
»Ja, aus Caesarea. Er ist noch am Tag der Einweihung abgereist.«
»Ich weiß. Antipas war ziemlich verschnupft deswegen, der Hof spricht von nichts anderem. Man vermutet natürlich einen politischen Vorfall, der seine Abreise dringend erforderte.«
Salome überflog die Schriftrolle. Mit jeder Zeile steigerte sich ihre Aufregung, und die förmliche Verabschiedung las sie gar nicht mehr.
»Was ist?«, forschte Berenike. »Was schreibt Pilatus?«
Salome rollte die Botschaft mechanisch wieder ein und blickte versunken in eine Ecke des Gemachs. »Er hat herausgefunden, wo Timon sich aufhält«, sagte sie abwesend.
»Wie hat er das geschafft?«, rief sie erstaunt.
»Offenbar hat Pilatus, gleich nachdem ich ihn um seine Hilfe bei der Suche bat, jemanden in Caesarea mit dem Studium der Akten beauftragt, und der ist auf seltsame Widersprüche gestoßen. Daraufhin schickte er Pilatus eine Nachricht, die am Tag der Einweihung eintraf. Pilatus sah nun selbst noch einmal die Akten ein und stellte einigen Leuten
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