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Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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Kallisthenes von den Entwürfen für Eumenes’ Haus sprach, hinkte Timon zum Bett zurück und schenkte sich Wasser ein. Sein Bein schmerzte noch von der Verletzung, die er sich beim Fluchtversuch aus dem Steinbruch zugezogen hatte, aber die Entzündungen an den Hand- und Fußgelenken, die verbrannte Haut und die geplatzten Lippen waren geheilt. Er hatte viel Glück gehabt. Wenn Kallisthenes nicht gewesen wäre …
    Er blickte seinen Lebensretter dankbar an, auch wenn der es nicht merkte, weil er bereits in den Sphären der Kunst schwelgte. Kallisthenes war vielleicht etwas einseitig, und sein Blick konnte manchmal Menschen mit Geringschätzung geradezu übergießen, wenn er es wollte. Aber er war ein guter Mann, auch wenn er sich Mühe gab, das zu überspielen. Hinter dem bartlosen, etwas schiefen Gesicht verbarg sich ein großzügiger Charakter. Kallisthenes weigerte sich, über Geld zu sprechen – von einer Erstattung des Kaufbetrages für ihn wollte er nichts hören -, bezahlte die besten Ärzte, bot ihm seit sechs Wochen freie Kost und Unterkunft und erkundigte sich jeden Tag nach seinem Befinden. Außer bei seinem Vater war Timon noch bei keinem Menschen so tief in der Schuld gestanden, und gerade das machte ihm seine Entscheidung so schwer.
    »… und dann fragte er mich«, berichtete Kallisthenes, »warum ich mir nicht einen Assistenten nehme.«
    Timon lächelte. Heute war sein Gastgeber mit dem Thema früh dran. »Du hast doch Assistenten.«
    Kallisthenes schnitt eine Grimasse. »Hilfskräfte«, korrigierte er. »Von denen würde ich doch niemanden an meine Häuser lassen. Sie machen ein paar einfache Berechnungen für mich, organisieren Arbeiter und dergleichen. Aber du, du besitzt Potenzial, Timon. Du hast ein gutes Auge und ein Gefühl für Formen. Was dir noch fehlt – die handwerkliche Praxis, der künstlerische Blick und der tägliche Umgang mit architektonischen Problemen -, das bringe ich dir bei. In vier, fünf Jahren bist du ein Meister der Baukunst. Das willst du doch werden, oder?«
    Ja, das wollte er. Schon als Kind bewunderte er jene, die Tempel, Bibliotheken und Villen bauten, und weniger die, für die sie gedacht waren. Manchmal war seine Phantasie mit ihm durchgegangen, wenn er sich die Architekten entweder als vergeistigte, grüblerische Männer vorstellte, die bis in die tiefe Nacht, an rußgeschwärzten Tischen sitzend, Hunderte von Entwürfen zeichneten, unzufrieden zerknüllten und zu Boden warfen, oder im Gegenteil als Gesellschaftshengste, die in den Nächten zechten und nach einem späten Frühstück hier und da ein paar neue Striche an den Entwürfen machten, wofür ihre Auftraggeber ihnen jedes Mal untertänigst dankend einen Beutel voller klimpernder Münzen überreichten. Die Wirklichkeit, wie er sie heute im Haus des Kallisthenes erlebte, gefiel ihm besser. Sie kam zwar manchmal den Phantasien von damals nahe, aber sie sah doch ganz anders aus. Als Architekt wechselten sich einsame Stunden mit langen Gesprächen mit Kunden oder Lieferanten ab. Man musste sowohl Künstler wie auch Organisator sein, Mathematiker ebenso wie Bildhauer und Maler und sogar ein wenig Kaufmann, und es lag an einem selbst, wie viel man vom einen und wie viel man vom anderen werden wollte. Kallisthenes bot ihm eine Gelegenheit, wie Timon sie sich immer gewünscht hatte. Nur eines wünschte er sich noch mehr, als Architekt zu werden.
    »Danke«, sagte er. »Aber ich muss etwas anderes erledigen. Und zwar in Judäa.«
    »Judäa? Geht es um eine Frau?«
    Timon blickte überrascht auf.
    »Tut mir Leid, ich wollte nicht neugierig erscheinen«, sagte Kallisthenes. »Zwischen deinen Zeichnungen, die du im Steinbruch gemacht hast, war das Bild einer jungen Frau. Sie wirkte semitisch. Ich dachte, vielleicht ist sie der Grund …«
    »Ja, das ist sie«, bestätigte Timon. »Ich liebe sie, Kallisthenes. All die Jahre gab es nicht einen Tag, an dem ich nicht an sie gedacht habe. Ich muss sie wiedersehen, bitte versteh das. Ich wäre dir jetzt kein guter Schüler. Noch in dieser Woche breche ich auf.«
    »Diese Woche? Das halte ich für keine gute Idee. Deine Wunde am Bein ist noch nicht verheilt und kann jederzeit wieder aufbrechen. Ich würde mir schreckliche Sorgen machen.«
    Timon grinste. Kallisthenes verhielt sich wie eine alte Mutter. Doch er hatte Recht. Es wäre unvernünftig, jetzt schon loszureiten. Nach mehr als vier Jahren der Trennung von Salome käme es auf eine Woche mehr oder weniger nicht

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