Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
würde warten, ohne zu wissen, worauf. Sie merkte, wie sich um sie herum die Reihe der Feinde schloss, wie ihr liebe Menschen abhanden kamen und nicht ersetzt wurden.
Salome löste sich von Philipps fragendem Blick und dem Felsen und suchte die Einsamkeit. Der kühle Wind spielte mit den Blättern der Olivenbäume, und ein sanfter Regen umgab sie wie ein Flüstern. Sie umarmte sich selbst und blickte in den schweren Dunst, der vom Jordan aufstieg.
»Ich habe soeben Nachrichten aus deiner zweiten Heimat bekommen«, rief Kallisthenes, kaum dass er sein Haus betreten und auf Timon getroffen war.
»Meinst du Rom oder Judäa?«
Kallisthenes verzog den Mund. »Du wirst doch wohl Rom nicht als deine Heimat ansehen, allenfalls vielleicht als Gefängnis deiner Jugend.«
Timon lachte. Nun, wo sein Aufbruch nach Judäa unmittelbar bevorstand, war er bester Laune. Seine Wunden waren verheilt, nur die letzte, Salome, musste noch geschlossen werden. »Also, lass hören, was gibt es aus Judäa?«
»Ich habe eben einen ehemaligen Kunden auf der Straße getroffen, den ich schon eine Weile nicht mehr gesehen habe, da er geschäftlich in Syrien und Judäa unterwegs war. Er erzählte mir, dass man dort die Frau eines Fürsten lebendig gesteinigt habe, wegen Ehebruchs. Ist das nicht ungeheuerlich?«
Timon nickte. »Die Strafen in Judäa sind hart. Wer dort zum Beispiel ein Tier verspeist, das nicht ganz ausgeblutet ist, wird aufgehängt. Das Gleiche kann demjenigen passieren, der Obst von einem Baum pflückt, der nicht wenigstens drei Sommer hinter sich hat.«
»Wer auch immer dieses Gesetzbuch geschrieben hat, muss betrunken gewesen sein.«
»Das war ihr Gott«, lachte Timon aus vollem Hals.
Kallisthenes hob die Hände gen Himmel. »Gelobt seien unsere Götter, die selbst so viele Fehler machen, dass der Mensch beruhigt sündigen darf.«
Nun lachten sie beide und fielen sich wie alte Freunde in die Arme. Langsam gingen sie zu der Abendtafel, die schon gedeckt war.
»Ach ja«, fiel Kallisthenes ein. »Mein Kunde hat mir auch von einer Hochzeit berichtet. Hast du mir nicht erzählt, eine Zeit lang in einer Stadt namens Ashdod gelebt zu haben? Vielleicht kennst du dann ja auch deren junge Stadtfürstin, Salome soll sie heißen. Es scheint, als habe sie ihren Einflussbereich ein wenig ausgedehnt, denn sie hat den Fürsten von Bansa, Basna oder so geheiratet. Jedenfalls ist der Mann ihr Onkel. Nicht zu fassen, oder? Wer in diesem Land ein Kaninchen isst, das noch ein wenig Blut im Fleisch hat, wird aufgehängt, aber seinen Blutsverwandten darf man heiraten und Kinder mit ihm kriegen. Ich werde diese Orientalen nie verstehen.«
Da Timon auf seinen Bericht nicht reagierte, wechselte Kallisthenes das Thema. »Hast du keinen Hunger? Ich habe den Wildschweinschinken nur deinetwegen kommen lassen. Ich möchte doch, dass du mich in guter Erinnerung behältst.«
Timon schwieg weiter. Bleich lag er auf der Bank und starrte auf die Tafel, und Kallisthenes wurde das Gefühl nicht los, dass er etwas Falsches gesagt habe.
Er räusperte sich. »Weißt du schon, wann du losreiten willst?«
»Ich habe es mir überlegt«, antwortete Timon mit heiserer Stimme. »Ich werde nicht reiten. Wann soll ich zu meiner ersten Lektion erscheinen, Meister?«
VIERTER TEIL
Alte neue Liebe
13
Wohin Salome auch blickte, sah sie nüchterne, graue Weiten. Um sie herum breitete sich eine endlose Fläche aus Sand und Geröll aus, in der außer Scharen von Eidechsen nur ein paar hundert Menschen lebten. Irgendwo in der Ferne tanzten, vom Wind getrieben, zwei Sandtrichter über die karge Erde, ansonsten bewegte sich nichts im Lande Auran. Jeder Stein hier schien seit Anbeginn der Welt seinen Platz zu haben, jede ziehende Wolke war wie ein Wunder. Die arabischen Siedler und Beduinen bewegten sich langsamer als alles, was Salome bisher gesehen hatte, und sie redeten selten mehr als zehn Wörter am Tag. Sie beteten zu keinem Gott, und es ging ihnen prächtig dabei. Hinter den langen Tüchern, die sie sich um den Kopf wickelten, schienen sie alle Geheimnisse eines unbeschwerten Lebens zu verbergen.
Philipp, Salomes Gemahl, der Fürst dieses Landes, war ihnen nicht unähnlich. Er machte wenig Aufhebens um seine Person, reiste stets mit kleinem Gefolge und fand sein größtes Glück darin, Recht zu sprechen, wohin er auch kam. Er führte ständig einen Richterstuhl mit sich, den er dort aufstellen ließ, wo ihn einer seiner Untertanen um Rat oder Gerechtigkeit
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