Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
abgibst.«
»Ich bin kein kleiner Junge mehr, Kallisthenes«, entgegnete Timon ärgerlich.
»Eben noch hörte es sich so an.«
»Wenn ich sage, ich habe alles im Griff, dann meine ich das auch so.«
Kallisthenes ging brummelnd davon, offensichtlich nicht überzeugt.
Timon selbst war nicht überzeugt von seinen eigenen Worten. Salome hatte schon immer eine große Wirkung auf ihn gehabt, damals in Ashdod, wo er ihretwegen beinahe die Vergeltung für den feigen Mord an seinem Vater aufgegeben hatte, und später im Steinbruch, wo es der Gedanke an sie war, der die Hoffnungslosigkeit seines dortigen Lebens durchbrach. Nach ihrer Heirat hatte er sich ins Studium gestürzt, wie kein anderer gearbeitet und Frauen getroffen, die weit schöner als Salome waren. Doch die meisten waren zu brav und glatt, und die wenigen anderen waren Amazonen, hart wie der Stein, mit dem er jeden Tag arbeitete. Bei den einen vermisste er die Exotik, bei den anderen die Verletzbarkeit, bei den dritten den Mut. Irgendetwas fehlte immer. Schon bald begriff er, dass es so nicht ging. Er konnte die Erinnerung an Salome nicht einfach zersplittern, die einzelnen Bruchstücke ihres Charakters nehmen und anderen Frauen anzupassen versuchen, so dass eine neue Salome entstand, nur mit anderem Namen. Das Einzige, was er tun konnte, war, noch mehr zu arbeiten, noch besser zu werden und auf den Tag zu warten, da irgendeine Überraschung den Zustand beenden würde.
Merkwürdig, dachte er. Er hatte bei dieser Überraschung immer an eine andere Frau gedacht, eine, die wie der Blitz des Zeus bei ihm einschlagen und Salome vergessen machen würde. Wie anders war es gekommen! Nun war er ihr so nah wie seit zehn Jahren nicht mehr. Er spürte, wie sein Herz schneller schlug, wie seine Arme und Beine nach Betätigung suchten und wie er die Spannung vor einer Herausforderung genoss, alles Dinge, die ihn seine Kindheit und Jugend begleitet hatten, in den letzten Studienjahren jedoch verloren gegangen waren. Salome brachte sie ihm zurück.
Er atmete tief durch und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. »Sie ist verheiratet«, stieß er hervor. »Es hat keine Zukunft.« Er wiederholte es lauter, als könne er es sich dadurch besser einprägen. »Es hat keine Zukunft.«
Kephallions Gesicht wirkte im Schattenspiel des Lichts der Öllampen wie eine Totenmaske, und den Mann, der vor seinem Schreibtisch stand, verschluckte fast vollständig die Dunkelheit. Nur das kalte Weiß seiner Augen strahlte wie zwei Sterne daraus hervor.
»Sieben wandernde Rabbiner hast du bereits getötet«, stellte Kephallion zufrieden fest und blickte auf die sieben blutbefleckten thora rollen, die wie Trophäen vor ihm lagen. »Damit liegst du vor allen anderen unserer Anhänger. Gratulation.«
Sollte der Zelot stolz und zufrieden grinsen, konnte Kephallion es nicht sehen. In seinem Arbeitszimmer war es zu finster, und der Bart des Mannes war schwarz und voll.
»Dafür bekommst du dieses hier«, sagte Kephallion und hielt dem Mann einen Ring entgegen, in dem ein Krummmesser eingraviert war, das zum Symbol der zelotischen Bewegung wurde. Kurz hatte Kephallion überlegt, ob er nicht das Kreuz zum Sinnbild machen sollte, weil Zelon daran gestorben war, aber es drückte zu viel Niederlage und Leid aus, also Schwäche. Das Krummmesser hingegen war die Waffe, mit der die Rabbiner getötet wurden, ein Sinnbild der Macht und Kraft.
»Und als zusätzliche Belohnung erhältst du noch eine besonders ehrenvolle Aufgabe. Du darfst dem Herrn ein besonderes Geschenk machen.«
Die Tür ging auf, und Berenike kam herein. In der einen Hand trug sie eine kleine Öllampe vor sich her, in der anderen einen Kelch mit dampfendem, gewürzten Wein. »Ich dachte, du möchtest vielleicht etwas trinken, wenn du schon nachts arbeitest. Ich …«
In diesem Moment sah sie die Umrisse des Fremden und schrak zurück. Kephallion sprang auf. Er schlug ihr Lampe und Kelch aus der Hand, krachend fiel alles zu Boden. »Ich habe dir gesagt, dass du hier drin nichts verloren hast. Und wie du aussiehst, wie eine Hure! Nur ein Nachtgewand hast du an.«
»Verzeih«, ächzte sie. »Ich wusste nicht, dass du Besuch hast.«
Er versetzte ihr eine Ohrfeige, doch dann kam ihm diese Strafe noch zu mild vor, und er schlug Berenike mit geballter Faust ins Gesicht.
Sie torkelte und fiel auf den Rücken. »Räume den Schmutz auf, den du gemacht hast«, rief er.
Sie rappelte sich wieder auf, kroch auf allen vieren zu den
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