Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
Scherben und sammelte sie auf.
»Nicht jetzt«, schrie er, stieß sie mit dem Fuß zurück und schlug die Tür zu.
»Gelobt sei der Herr, der mich nicht zu einer Frau gemacht hat«, kommentierte er gegenüber dem Zeloten die Szene, die eine wichtige Unterredung unterbrochen hatte. Von draußen drang das Gewimmer seiner Frau herein, aber Kephallion setzte sich wieder und atmete tief durch. »Nun wieder zu unserer erhabenen Aufgabe. Bisher haben wir nur Rabbiner beseitigt, doch das soll sich nun ändern. Und du wirst der Erste sein, der ein neues Kapitel in unserem heroischen Kampf aufschlägt. Es kann dich dein Leben kosten, doch sei gewiss, dass du damit zum Liebling Gottes wirst, zum Märtyrer!«
Als Salome in ihrer Sänfte auf einem Hügel nahe der künftigen Hauptstadt ankam, blickte sie über ein Heer von Menschen, die wie in einem Ameisenhaufen arbeiteten und durcheinander liefen. Die Geräusche, die sie dabei machten – hämmern, rufen, mauern, stampfen, klappern, ächzen, fahren und reiten -, vermischten sich zu einem einzigen unheimlichen wabernden Geräusch, das die gesamte Ebene erfüllte. Von einzelnen Gebäuden oder gar einer Struktur war noch nichts zu sehen. Hunderte bunter Wimpel, die im frischen Herbstwind flatterten, riesige Steinhaufen, Holzgerüste und wirre, sich kreuzende Gräben waren die einzigen Zeichen dafür, dass etwas Gewaltiges im Entstehen war.
Für Salome war es ein seltsamer Moment, dies alles zu überblicken. Ihre Anregung, eine Stadt zu bauen, war ja nur zu dem Zweck geschehen, Timon auf unverdächtige Weise wiederzusehen. Philippi war für sie die ganze Zeit über nur ein Begriff gewesen, eine Metapher, die für ihr persönliches Glück stand. Doch nun bauten Tausende von Menschen daran, Wälle wurden aufgeschüttet, Ziegel gebrannt, Steine geschlagen. Aus dem ganzen Osten, aus Griechenland, Persien und Ägypten waren Architekten herbeigeholt worden, und noch in Hunderten von Meilen Entfernung verdienten Steingrubenbesitzer und Bildhauer an dieser einen Laune von ihr. Das alles hatte etwas Beängstigendes und zugleich Faszinierendes.
Zum ersten Mal kam ihr der Gedanke, dass der Bau Philippis noch weit mehr Vorteile brachte als das Wiedersehen mit Timon und dass die Argumente, die sie ihrem Gemahl gegenüber ins Feld geführt hatte, nicht nur Vorwände waren, sondern tatsächlich etwas taugten. Wenn Philippi das würde, was Kallisthenes versprach, nämlich etwas Besonderes, dann konnte Philipps Ruf als großer Erbauer und weiser Staatslenker in die Welt hinausdringen. Im Rennen um den Königsreif konnte das entscheidende Meter bringen.
Dennoch: Sie war nicht der Stadt wegen hierher gekommen. Timons Blick während ihres Tanzes war einer Aufforderung gleichgekommen, hierher zu reisen. Seit Wochen wartete sie nun schon auf eine günstige Gelegenheit, die sich bis gestern nicht ergeben hatte. In den ersten Tagen fehlte ihr schlicht eine vernünftige Begründung für eine Reise in die entstehende Stadt. Bevor die Arbeiten begonnen hatten, wäre eine vermeintliche Besichtigung der Baustelle ihrem Gemahl verdächtig erschienen. Danach wurde er krank, nichts Ernsthaftes zwar – nur die seltsamen Kopfschmerzen, die er seit einiger Zeit hatte -, aber einen Ausflug konnte sie unter diesen Umständen unmöglich antreten. Wieder hatte sich in ihr Gefühl der Fremdheit und Gleichgültigkeit, die sie für Philipp empfand, jener Zorn auf ihn gemischt, der sich in letzter Zeit immer häufiger einschlich. Philipp selbst war unschuldig daran, das wusste sie, doch seine bloße Existenz verhinderte, wonach sie sich am meisten sehnte: nach der Liebe Timons. Wegen Philipp ging er ihr aus dem Weg, obwohl er sie noch immer begehrte, und wegen Philipp konnte sie nicht zu ihm reisen, obwohl alles an ihr danach verlangte.
Vor drei Tagen dann die Überraschung: Philipp kündigte eine Reise an und ging wie üblich davon aus, dass sie ihn begleiten wolle.
»Mein Bruder hat mich schon am Morgen nach dem Gastmahl eingeladen, ihn in Tiberias zu besuchen«, hatte er gesagt. »Seltsam, oder? Erst haben wir uns gestritten, und nur ein paar Stunden später will er … Jedenfalls möchte er mit mir über die zunehmenden Morde an Rabbinern sprechen. In der letzten Woche wurden vierzehn von ihnen von den Zeloten getötet, und vor einigen Tagen ist es in Galiläa zu einem besonders schweren Vorfall gekommen. Ein Zelot ist in eine Versammlung von Betenden eingedrungen und hat mit einem Krummdolch wie ein Irrer
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