Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
auf alle eingeschlagen, die sich in der Synagoge befanden. Neun Männer und zwei Frauen starben, bevor man den Mann überwältigen konnte.«
»Schrecklich. Woher weiß man, dass es ein Zelot war?«, hatte sie entsetzt gefragt.
»Er trug einen Ring, in dem ein Krummdolch eingraviert war. Das ist neuerdings ihr Symbol.«
»Gab es auch in Basan Übergriffe auf Rabbiner und andere Gläubige?«
»Zwei. Ich arbeite in dieser Frage wohl besser mit Antipas zusammen. Vor Grenzen machen diese Wahnsinnigen gewiss nicht Halt.«
»In diesem Fall bin ich natürlich ebenfalls für eine Zusammenarbeit. Ich kann leider nicht mitkommen.«
»Warum? Du kommst doch immer mit.«
»Nicht zu Antipas«, erwiderte sie, froh, einen guten Grund für ihre Absage gefunden zu haben.
»Antipas schreibt ausdrücklich, dass du mich begleiten sollst, er bittet mich geradezu darum. Vermutlich möchte deine Mutter euren Streit beilegen.«
»Es fällt mir nicht ein, das zu tun, was mein Stiefvater will«, entgegnete sie trotzig.
»Wie du meinst«, seufzte er ungewöhnlich traurig. »Ich lasse dir Nathan da.«
»Wen?«
»Nathan, meinen Schreiber.«
Der junge sofer mit dem Wuschelkopf stieg in Philipps Gunst offenbar immer weiter. Nun sollte er also ihr Aufpasser werden.
»Wozu denn das?«, fragte sie.
»Du solltest einen klugen Mann an der Seite haben.«
»Ich bin selbst klug genug«, entgegnete sie, brach ihren Protest anschließend jedoch ab, denn sie wollte nicht, dass Philipps Abreise am Ende an dieser Frage scheiterte.
Mit einem Kuss auf beide Wangen verabschiedete sie ihn und versuchte, so traurig wie möglich auszusehen. In Wahrheit schlug ihr Herz Purzelbäume vor Freude. Sie hatte es keinen Tag länger in Bethsaida ausgehalten und war gleich heute bei Morgengrauen aufgebrochen.
»Weiter«, rief sie der Eskorte zu, zu der auch Nathan, der Schreiber, gehörte.
Die Nachmittagssonne im Rücken, schaukelte sie in ihrer Sänfte den Hügel hinunter. Überall, wo sie vorbeikam, sanken die Menschen auf die Knie und senkten die Köpfe, woran sie erkennen konnte, dass es Nichtjuden sein mussten. Kein Jude hätte sich zu einer solchen unterwürfigen Geste bereit gefunden, nicht einmal dann, wenn sie Königin gewesen wäre. Außerdem war sie bei den Nichtjuden des Fürstentums äußerst beliebt, denn es hatte sich herumgesprochen, dass sie immer wieder deren Rechte stärkte. Für diese Leute war sie wohl schon so etwas wie eine Königin.
Sie genoss die Hochachtung, die ihr entgegengebracht wurde, und nickte freundlich nach allen Seiten, aber nach einer halben Stunde war sie dann doch froh, die anstrengende Prozedur hinter sich gebracht zu haben. Sie war am Ziel angekommen.
Timon trug eine zerrissene Tunika, sein Gesicht war schmutzig, kleine Holzsplitter hingen ihm in den Haaren, und seine Sandalen hatte er ausgezogen. Wie ein Bauernjunge, der soeben von einer wilden Rauferei nach Hause kommt, stand er vor Salome. Kallisthenes hingegen war die Sauberkeit selbst.
»Wenn wir gewusst hätten, dass du kommst, Fürstin, hätten wir etwas vorbereitet«, sagte Kallisthenes höflich und warf seinem zerlumpten Partner einen ärgerlichen Seitenblick zu.
»Genau das wollte ich nicht«, erwiderte Salome schmunzelnd. »Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Überraschungsbesuche immer die ergiebigsten sind. Man entdeckt so viel … so viele neue Ansichten.«
Kallisthenes grinste bemüht. »Wie wahr.«
Sie wollte den offiziellen Teil ihres Besuches und die enge Planungsbaracke der Architekten möglichst schnell hinter sich lassen. »Wie kommt ihr voran?«, fragte sie.
»Sehr gut, da sich das Wetter hält.«
»Das wird es nicht mehr lange«, gab sie zu bedenken. »In wenigen Wochen werdet ihr mit sehr viel Regen zu kämpfen haben.«
»Wir haben Furchen gegraben, damit das Wasser gut ablaufen kann«, erklärte Kallisthenes. »Außerdem sind wir noch im Planungsstadium. Die eigentlichen Bauarbeiten beginnen ohnehin erst im nächsten Frühling. Dann fangen wir mit den großen, repräsentativen Gebäuden im Zentrum an.«
Sie nickte. »Ich hoffe, ihr habt alles? Ihr wisst, dass ihr euch jederzeit an mich oder meinen Gemahl wenden könnt. Wenn ihr also etwas benötigt, so zögert nicht.«
Kallisthenes wollte eben verneinen, als Timon ihm zuvorkam. »Ja, du könntest tatsächlich etwas für mich tun, Fürstin.«
Sie war froh, dass Timon endlich einmal von sich aus das Wort an sie richtete. Ein feines Lächeln glitt über ihre Lippen.
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