Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
bevorzugte, und niemals hatte er den Versuch gemacht, sich ihr zu nähern, im Gegenteil, er hatte sie stets ignoriert, damals, als sie in Tiberias weilte.
Haritha, fiel ihr ein. Haritha passte auch nicht zu ihm, er vergötterte sie nur wegen ihres speziellen Tanzes, den nur nabatäische Priesterinnen beherrschten. Du darfst mit keinem über unseren Unterricht sprechen, hatte Haritha ihr mehrfach eingeschärft. Antipas dürfe sie nicht beim Tanzen sehen, niemals dürfe er davon erfahren, lauteten die Mahnungen ihrer Freundin damals. Salome hatte das nie ganz verstanden, und nach Harithas Tod auch nie wieder darüber nachgedacht. Jetzt allerdings wurde ihr manches erklärlich.
»Das hättest du dir überlegen sollen, bevor du Haritha umgebracht hast«, schleuderte sie ihm entgegen.
»Ich bereue es«, erwiderte er. »Du ahnst nicht, wie sehr. Nun bist du ja da. Sie hat dich in ihre Geheimnisse eingeweiht, du wirst ihre Nachfolgerin.«
Salome stand vor Staunen der Mund offen. »Du musst völlig verrückt sein, wenn du glaubst, ich würde jemals dir gehören.«
»Tanze für mich, Salome.«
»Niemals.«
»Du könntest damit deiner Mutter einen Schlag versetzen, das willst du doch?«
»Nicht auf diese Weise. Ich verzichte, danke sehr.«
Erneut riss sie die Tür auf und hielt sie dieses Mal derart verbissen fest, als wolle sie sie mit ihrem Leben verteidigen.
Antipas ballte die zitternde Faust, aber schließlich schien er sich ihrer Entschlossenheit zu fügen. Vorerst jedenfalls.
»Vergiss nicht«, gab er ihr noch zu bedenken, »dass die kommende Nacht vielleicht noch manche Überraschung für dich bereithält. Wenn ich König werden sollte, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass du keine Königin werden kannst. Ich habe schon einmal eine Schwägerin geheiratet, ich könnte es wieder tun. Du brauchst mich nur zu …«
Sie knallte Antipas die Tür vor der Nase zu, legte den Riegel um und lehnte sich von innen gegen das Holz. Sie war hellwach und konzentriert. Ihre Gedanken überschlugen sich, verknüpften Geschehnisse, mutmaßten und verdächtigten.
In einem, dachte sie, hatte Antipas Recht. Was sie eben erlebt hatte, war mit Sicherheit nicht die letzte Überraschung des Abends.
Menahem klopfte an die Pforte von Kephallions Haus in Nazareth. Während er wartete, rieb er sich die Arme, um sich aufzuwärmen. Die soeben hereingebrochene Nacht war verhältnismäßig kühl, wenn man bedachte, dass der Monat sivan den Sommeranfang kennzeichnete, in dem das Land von blühenden Sträuchern und sattgrünen Wiesen überzogen war. Schafe und Lämmer grasten zu Tausenden um Nazareth herum, und die Bauern brachten ihre erste Ernte an Pfirsichen, Aprikosen und Kohl ein und ihre letzte an Zitrusfrüchten.
Menahem trug leichte Kleidung, denn sein eigenes kleines Haus lag nur eine Straße entfernt, nun aber fror er, und jeder Moment kam ihm zehnmal so lang vor.
Er klopfte erneut. Jemand musste im Haus sein, denn obwohl die Fensterläden schon geschlossen waren, drang durch einige Spalten ein matter Lichtschimmer. Im Bemühen, sich warm zu halten, sprang er einige Male auf und ab und stieß dabei an die mazuza , einen Behälter, der traditionsgemäß an den oberen Türpfosten gebunden war und einige Schriftrollen mit heiligen Texten enthielt. Die mazuza fiel zu Boden und einige der Schriftrollen kullerten heraus und öffneten sich. Menahem wollte sie wieder sorgfältig einrollen und in den Behälter zurücklegen, als er feststellte, dass eine zu viel dabei war. Welche Texte in die mazuza hineingehörten, war genau festgelegt, und die Schriften des Propheten Jesaja gehörten nicht dazu. Er überflog die Rolle, die Auszüge aus dem Buch Jesaja enthielt: »… Israel, der Herr wird deiner Sklaverei ein Ende machen! Nach allen Leiden und Unruhen wirst du wieder aufatmen können« … »Wie aufgescheuchte Gazellen so werden alle Fremden davonfliehen. Wer auf der Flucht entdeckt wird, wird niedergestochen, wen man aufgreifen wird, der wird mit dem Schwert erschlagen. Sie werden mitansehen müssen, wie man ihre Kinder zerschmettert« … »Dann wird ein Thron errichtet werden, dessen Fundament die Treue ist. Und auf diesem Thron am Wohnsitz Davids wird beständig einer regieren …«
Was er da las, bestätigte Menahem in seinen schlimmsten Befürchtungen. Kephallion träumte von einer Befreiung durch Blut und Zerstörung, und damit von einer ganz anderen Art der Befreiung als Sadoq und er selbst.
Menahem hörte Schritte. Er
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