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Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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gemacht, und ihren Feinden wäre ein solches Verhalten hochwillkommen gewesen. Außerdem war Nathan zuzutrauen, dass er sie tatsächlich zur shiw’a zwingen würde, und wenigstens diese Demütigung wollte sie sich ersparen.
    Salome wurde also in eine fensterlose Kammer eingeschlossen, die nicht mehr enthielt als ein Bett und einen Schemel. In einer Ecke brannte tagein und tagaus eine einzelne Kerze, die sie als Witwe an ihren verstorbenen Mann erinnern sollte. An der Pforte zu diesem dunklen, künstlichen Grabgewölbe nahm man ihr alle Kleidung ab und reichte ihr stattdessen ein schwarzes, viel zu weites Gewand; man nahm ihr den Schmuck, jede einzelne Perle, jede Haarnadel und jeden Kamm. Farben auf ihrer Haut zu tragen wurde ihr verboten, sogar der violette Lidschatten wurde abgewischt. Dann schloss man die Kammer ab.
    Und es wurde still.
     
    Niemand, nicht einmal eine Dienerin, durfte zu ihr. Außer ihren Sorgen, was aus Timon geworden war, ihrer Trauer um Philipp und ihren Gedanken an ihre Zukunft hatte sie nichts, womit sie sich die Zeit vertreiben konnte: Sie durfte nicht baden und nicht die Kleider wechseln, nicht schreiben und nicht lesen, nicht nähen und nicht singen oder summen. Jedes Wort war ihr verboten, außer das qaddisch , das Trauergebet, durfte sie sprechen – worauf sie verzichtete. Ihre Notdurft verrichtete sie in ein Tongefäß. Außer challa , Schafskäse und Feigen bekam sie nichts zu essen, gebracht von einer Dienerin, die leise und stumm wie ein Schatten herein- und wieder hinaushuschte. Nie fühlte Salome sich erbärmlicher als in diesen Tagen.
    Schon bald klebte das Gewand wie Honig an ihrem Körper. Die Hitze in der Kammer war unerträglich, noch unerträglicher war die Finsternis. Salomes Blick haftete an der schmächtigen Kerzenflamme wie an einer Freundin, aber auch das half nur wenig. Die Grenzen von Tag und Nacht verschwammen zusehends, so dass Salome jedes Gefühl dafür verlor, wie lange sie schon eingeschlossen war. Waren die sieben Tage nicht schon längst vorbei? Hielt man sie länger hier fest? Die wirrsten Gedanken ergriffen Besitz von ihr, sie glaubte verrückt zu werden, wenn sie noch eine Stunde länger in dieser Gruft bleiben musste. Aber wie lange war eine Stunde? Wieder fiel ihr der Fluch des Täufers ein. Antipas war dem Wahnsinn verfallen, war sie die Nächste? Sie wünschte sich, irgendjemand käme zu ihr und spräche mit ihr, gleichgültig ob eine Wache oder der Stallknecht, sogar Nathans missbilligende Stimme hätte sie lieber in Kauf genommen als diese ewige Stille. Sie wusste, dass man Timon unter keinen Umständen einen Besuch bei ihr gestatten würde, und doch erwartete sie auf ganz unsinnige Weise, er käme herein und berührte sie. Doch würde er überhaupt kommen, selbst wenn er dürfte? Gerade als sie auf dem Weg waren, sich zu versöhnen, hatte sich ein Missverständnis zwischen sie geschoben, eines, das sie unbedingt aus der Welt schaffen musste. Wenn sie nur mit ihm reden könnte … Von allen unangenehmen bis erniedrigenden Umständen, von den schweißnassen Haaren über die stickige Luft, die Dunkelheit und Stille war das vielleicht das Schlimmste für Salome: Sie wusste nicht, was draußen vor sich ging. Immerhin war ein Fürst gestorben, der in Kürze König werden sollte; so etwas konnte doch nicht folgenlos bleiben. Was würde als Nächstes geschehen? Nur so viel wusste sie: Sie war Fürstin von Ashdod, und sie war frei. Es hatte nie eine bessere Grundlage für ihre Liebe zu Timon gegeben als jetzt, und diese Beruhigung war das Einzige, was ihre Situation ein wenig erleichterte.
    Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als jemand zur Tür hereinkam, mit dem sie gar nicht mehr gerechnet hatte: Pontius Pilatus. In seiner strahlend weißen Toga kam er ihr in diesem Augenblick beinahe wie ein überirdisches Wesen vor, und sie wäre ihm am liebsten um den Hals gefallen. Sie sah jedoch ein, dass sie in diesem Aufzug, klebrig und ganz sicher übel riechend das Letzte war, was Pilatus an seinem Hals haben wollte.
    » Ave , Fürstin, ich grüße dich«, sagte er mit gerümpfter Nase. Im nächsten Moment kroch ihm der Ausdruck des Ekels über das Gesicht. »Bei allen Göttern, in keinem römischen Hurenhaus stinkt es so erbärmlich wie hier.«
    Natürlich war ihr das peinlich; allerdings war sie viel zu dankbar für sein Erscheinen, um sich zu wünschen, dass er wieder ginge.
    Pilatus wandte sich an den Hofmeister, der hinter ihm stand. »Kann ich

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