Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
nicht vor der Tür mit ihr reden?«
»Es ist Brauch, edler Pilatus, dass sie sieben Tage in Trauer verbringt.«
»Um was soll man denn in diesem Verlies trauern, außer um die Tatsache, eben hier eingeschlossen zu sein?« Er seufzte gedehnt. »Aber bitte, wenn du meinst.« Pilatus hatte sich in den Jahren angewöhnt, jede jüdische Sitte zu respektieren, so absurd sie ihm auch erschien. Im Übrigen hatte der Hofmeister ihm zu verstehen gegeben, dass bereits sein Besuch bei einer trauernden jüdischen Witwe eine ungewöhnliche Ausnahme sei, die man ihm gestattet habe.
Die Tür schloss sich hinter ihm. Langsam tastete er sich durch den Raum und setzte sich auf den Schemel, den Salome ihm anbot. Sie selbst nahm auf dem Bett Platz.
»Ich bin froh, dich zu sehen, edler Pilatus«, gestand sie. »Du weißt nicht, wie froh.«
Er zog noch immer ein leicht angewidertes Gesicht. »Ich wünschte, ich könnte dasselbe sagen. Die Umstände hingegen …«
»Ja«, sagte sie mit gesenktem Kopf. »Philipps Tod muss schlimm für dich sein.«
»Eine Katastrophe«, platzte er jammernd heraus. »Wen soll ich denn jetzt zum König machen, wo der eine Tetrarch dank deiner ausgefallenen Wünsche verrückt geworden ist und der andere tot? Werde ich denn nie von hier wegkommen? Ich habe nun wahrlich schon so viel Wüstensand geschluckt, dass es für zehn Leben reicht. Ich will endlich wieder nach Rom.«
»Vielleicht solltest du auch einmal eine Königin als Lösung in Betracht ziehen.«
»Denkst du dabei an dich selbst? Meine Liebe, du hast derzeit ganz andere Probleme als einen hässlichen Goldreif, der seit Jahrzehnten in Rom vergammelt.«
Sie runzelte fragend die Stirn. »Was meinst du damit?«
»Ich hatte eben eine Besprechung mit dem Hofmeister und diesem Nathan, dessen Funktion mir leider noch nicht klar ist.«
»Worum ging es bei der Besprechung?«
»Um dich, meine Liebe. Es sind …« Er räusperte sich. »Es sind Beschuldigungen gegen dich erhoben worden. Du sollst ein ehebrecherisches Verhältnis mit einem Griechen gehabt haben, diesem Timon, den ich damals habe für dich suchen lassen.«
Salome stand ruckartig auf und blickte Pilatus halb wütend, halb erschrocken an. Doch dieser kraftvollen Reaktion folgte nichts.
»Man hat mir erklärt«, fuhr Pilatus fort, »dass du trotz des Todes deines Gemahls noch immer deswegen belangt werden kannst. Nun, natürlich werde ich das noch prüfen, aber ich bin gezwungen, dich vorsorglich schon einmal mit nach Jerusalem zu nehmen.«
»Wieso das?«, fuhr sie ihn an.
»Wenn ich den Hofmeister richtig verstanden habe, sollst du vor dem obersten jüdischen Gericht, dem Sanhedrin , angeklagt werden. Und dein Geliebter ebenfalls.«
Sie riss die Augen weit auf. »Das musst du verhindern.«
»Beim Jupiter, das werde ich nicht«, entgegnete er entschieden.
»Es wäre dir ein Leichtes, mir zu helfen. Jedes Urteil des Sanhedrin muss von dir als Prokurator bestätigt werden.«
»Hierzulande brechen doch bereits Unruhen los, wenn ein Römer einem Juden auf den Fuß tritt. Kannst du dir vorstellen, was passiert, falls ich eine Ehebrecherin, die noch dazu als lasterhafte Prophetenmörderin verschrien ist, vor dem jüdischen Gesetz zu retten versuche? Nein, meine Liebe, das musst du allein durchstehen. Ich sorge dafür, dass du standesgemäß behandelt wirst und …«
»Mir könnte Ashdod genommen werden, ja, ich könnte sogar zum Tod verurteilt werden. Was interessiert mich da meine Unterbringung?«
»Du bist undankbar, jawohl, das bist du. Weißt du eigentlich, wie schwer du mir mit deinen Eskapaden das Leben in Judäa gemacht hast? Wahnsinnige Tetrarchen, hingerichtete Propheten, aufgebrachte Menschen … Und nun soll ich dir gegen alles Recht helfen, deinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen, indem ich meinen eigenen Kopf hineinstecke? Oh nein, ich werde jedes Urteil des Sanhedrin akzeptieren, so wie immer.«
Sie ergriff seine Hand und kniete sich vor ihn. »Für Timon kannst du doch sicher etwas tun?«
»Er ist unauffindbar. Was übrigens deine Lage nur verschlimmert, denn man könnte seine Flucht als Schuldeingeständnis werten.« Er seufzte übertrieben, wie es seine Art war, und sagte: »Das Schicksal spielt schon seltsame Streiche, nicht wahr, meine Liebe? Damals habe ich Timon suchen lassen, um dir einen Gefallen zu tun, und nun muss ich ihn suchen lassen, damit er dir schadet.«
Er entzog seine Hand der ihren und klopfte gegen die Tür, damit sie ihm geöffnet wurde. Bevor er
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