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Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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worden, an dessen Tafel sie als Kind gesessen hatte und den sie ihren Verwandten nannte. Und er hatte lange Zeit nur einen einzigen Gedanken im Kopf gehabt: Judäa. Dieses Land liebte er mit jeder Faser seines Herzens und mit jedem Atemzug neu. Woanders zu leben, so wie sie es sich nachts erträumte, wäre für ihn nicht in Frage gekommen.
    Natürlich lag so etwas ohnehin außerhalb aller Möglichkeiten. Sie war verheiratet, und er war es auch. Auch wusste sie überhaupt nicht, ob er genauso für sie fühlte wie sie für ihn. Ja, er kümmerte sich um sie, so weit das möglich war. Seine Blicke aus den klaren grauen Augen waren Balsam für ihre Wunden, und seine Worte trösteten sie. Doch Liebe und Mitleid waren oft schwer auseinander zu halten, besonders in ihrem Fall, das wusste sie, denn sie gäbe tatsächlich ein hervorragendes Objekt für Mitleid ab.
    Menahem konnte die Spuren der Gewalt an Berenikes Körper kaum übersehen. Ihre Lippe war an zwei Stellen aufgesprungen, ihre rechte Wange geschwollen, und als er ihr Haar, das sie entgegen jeder Mode und Tradition mühsam in die Stirn frisiert hatte, vorsichtig zurückstrich, entdeckte er eine Platzwunde, deren Grind noch ganz frisch war. Menahem erschrak und sah sie an wie ein waidwundes Tier. Dann tauchte er einen Finger in eine winzige Amphore, die er noch am Abend vom Arzt geholt hatte, und tupfte ihr im Licht der Öllampen sanft die dicke Paste auf ihre Lippen und die Stirn.
    »Das ist keine Arbeit für einen Mann«, sagte Berenike.
    »Doch, es wäre eine Arbeit für ihn «, widersprach er. »Immerhin hat er dir das angetan. Das Mindeste, was er tun könnte, wäre, dich zu pflegen.«
    »Er musste geschäftlich nach Jerusalem.«
    »Wieso entschuldigst du ihn noch?«, fragte Menahem ärgerlich.
    »Es war mein Fehler. Ich habe ihn gereizt.«
    »Oh, natürlich«, rief er ungehalten. »Du bist also schuld, ja? Was hast du Furchtbares getan?«
    »Ich habe ihn gebeten, seinen Plan aufzugeben.«
    »Plan?«
    »Nach Jerusalem zu reiten und dort …« Sie stockte.
    Menahem verteilte weiter die Salbe auf ihrem Gesicht. Unbeeindruckt von ihrem plötzlichen Schweigen, sagte er: »Du kannst ruhig weiterreden, Berenike. Ich weiß schon seit langem, dass dein Mann an Sadoq und mir vorbei Pläne schmiedet. Aber ich kann so wenig dagegen tun wie du. Kephallion wird seinen Weg unbeirrt gehen – und hoffentlich in einen Abgrund stürzen.«
    Berenike wollte protestieren, doch er verbot ihr jedes weitere Wort. »Du musst jetzt deine Lippen geschlossen halten, sonst trocknet die Salbe nicht«, sagte er grinsend. »Und ich kann dir endlich alles das sagen, was ich will, ohne dass du widersprechen kannst.«
    Sie lächelte ihn an. An seinem klaren hellen Blick erkannte sie, dass er es gut mit ihr meinte. Wie unterschiedlich sie waren, Kephallion und Menahem. Sie gehörten derselben politisch-religiösen Gruppierung an, sie waren beide enge Gefolgsleute von Sadoq und wollten ihre Idee eines von den Römern befreiten Judäa verwirklicht sehen. Aber während ihr Mann bis über beide Ohren voller Hass und Gewalt war – obwohl er nie einen Verwandten oder Freund im Kampf gegen die Römer verloren hatte -, vertrat Menahem, der viele Freunde an Kreuzen hatte sterben sehen, eine weit mildere, unblutige Methode der Befreiung, nämlich den Ungehorsam des ganzen Volkes gegen die Besatzer. Und so, wie sie politisch agierten, waren sie auch im Privaten. Kephallion schlug sie wegen jedem falschen Wort, das sie sagte, und wenn er einmal keinen Vorwand fand, dachte sein krankhaftes Gehirn sich einen aus und verdächtigte sie der Untreue. Menahem dagegen schenkte ihr die einzigen sanften Berührungen, die sie in diesen Tagen von einem Menschen erfuhr.
    »Ich habe alles versucht«, sagte Menahem, »um Kephallion zur Vernunft zu bringen, und damit meine ich nicht nur seine Eigenmächtigkeiten, sondern auch sein Verhalten dir gegenüber. Ich habe mit ihm gesprochen wie auch mit Sadoq. Was Kephallions politische Ambitionen angeht, glaubt Sadoq, ich übertreibe, und was dich angeht, sagt er, ich habe mich da nicht einzumischen. Aber genau das werde ich tun.«
    Menahem holte tief Luft, bevor er fortfuhr: »Ich habe mir alles gründlich überlegt. Du musst Kephallion verlassen, Berenike.«
    Sie wollte erneut protestieren, doch wieder erinnerte Menahem an die Salbe auf ihren Lippen.
    »Ich weiß, dass Frauen ihre Männer nicht ohne deren Einverständnis verlassen dürfen, und kein Gericht, schon gar nicht der

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