Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
Menahem noch schnell hinter die Tür zu schieben, bevor sie sich öffnete und Kephallion vor ihr stand.
»Stell dir vor«, sagte er als Erstes, und eine seltene Freude strahlte aus seinem Gesicht. »Philipp von Basan ist tot. Er ist doch tatsächlich einem Fieber erlegen, und Pilatus hat nun niemanden mehr, den er uns als König vorsetzen kann. Noch besser ist, dass Salome damit endgültig gescheitert ist. Gott ist groß. Gott ist gerecht. Gott hat uns nicht verlassen.«
Berenike schluckte. Was Kephallion da berichtete, interessierte sie in diesem Moment kein bisschen. In einer Ecke ihres Schlafgemachs befand sich ein Mann, keine zwei Schritte von Kephallion entfernt. »Du … Du wolltest doch erst heute Abend zurückkehren.«
»Als ich die gute Nachricht hörte, wollte ich sofort nach Nazareth. Ich muss mit Sadoq darüber sprechen.« Er blickte sie mit Adleraugen an, Misstrauen kroch über seine Miene. »Wieso fragst du?«
»Nur so. Ich – ich habe nichts vorbereitet.«
»Das macht doch nichts«, sagte er generös. »Zur Feier des Tages musst du dich heute auch um nichts kümmern. Wir laden uns einfach bei Sadoq ein, soll er uns mal bewirten. Und du darfst mitkommen. Wie gefällt dir das?«
Sie musste auf diese Frage nicht mehr antworten, denn Kephallion schloss die Tür – und entdeckte im selben Augenblick Menahem. Er brauchte einen langen Atemzug, um die Situation einordnen zu können, dann rammte er ohne ein Wort seine Faust in Menahems Magen. Menahem knickte zusammen wie ein Zweig. Doch Kephallion war noch nicht fertig mit ihm. Er packte ihn am Kragen und schleuderte ihn zu Boden, trat in seinen Rücken, hob ihn auf und schlug ihn erneut in den Bauch. Menahem versuchte, sich zu wehren, doch er besaß nicht Kephallions Kraft und Wut. Eine wuchtiger Schlag traf ihn aufs Auge, ein zweiter am Mund, danach war sein Widerstand gebrochen. Blut lief ihm am Kinn herunter, während er von Kephallion durch das Haus geschlagen und getrieben wurde. An der Eingangstür traf ihn dessen Faust ein letztes Mal, dann fiel Menahem rücklings auf die Straße. Sein Körper schmerzte, er konnte nicht mehr denken. Kephallion bedachte ihn mit keinem Wort, sondern wandte sich ab.
»Und jetzt zu dir«, rief er ins Haus hinein, bevor er die Tür hinter sich zuschlug.
Salome hatte Philipp noch einmal kurz vor seinem Tod gesehen; er fieberte stark und erkannte sie nicht wieder. Nur wenige Atemzüge lang durfte sie mit ihm allein in seinem kleinen Hinterzimmer bleiben, dann musste sie ihn verlassen. Nicht der griechische Arzt, sondern Nathan selbst informierte sie eine Stunde später über sein Ableben. Hinter seiner Verschlossenheit spürte sie Trauer. Sie wollte ihm etwas Tröstliches sagen, doch das ließ er nicht zu.
»Nach dem Willen des Hofes«, verkündete er beinahe freudig, »sollst du das Ritual der shiw’a absolvieren, der sieben Trauertage.«
Das war in vielen jüdischen Familien üblich; von den einen wurde diese Tradition eher symbolisch ausgelegt, von anderen überaus streng zelebriert. In ihrem Fall war klar, dass man die sieben Trauertage streng einhalten würde.
Ihr erster Gedanke war Widerstand. Sie wollte dieses Ritual nicht durchführen, sie wollte zu Timon. Und überhaupt, was hatte sie noch mit diesem Gott und seinen Ritualen zu tun?
Nathan bemerkte ihr Zögern und erinnerte sie mit schneidender Stimme daran, dass sie als Witwe eines Juden dem Toten diesen letzten Respekt schuldig war und dass er sie notfalls mit Gewalt zur shiw’a zwingen würde. Das Recht sei auf seiner Seite.
Schmerzlich wurde Salome klar, dass ihre Welt mit Philipps Tod von einer Stunde zur nächsten eine völlig andere geworden war. Sie war nicht mehr Fürstin von Basan. Als kinderlose Witwe war sie in den Augen des Hofes nur noch ein Gast, eine Fremde auf fremdem Gebiet. Nach altem Brauch erbte sie nichts, kein Geld, keine Titel, kein einziges Möbelstück, nur das Gebetbuch, das Philipp ihr zur Hochzeit geschenkt hatte. Aber natürlich erhielt sie laut ketubba , dem Ehevertrag, ihre eingebrachte Mitgift zurück: Ashdod. In Basan jedoch galt sie nichts mehr. Der Hof wurde vorübergehend vom Hofmeister verwaltet, und der Hofmeister hörte auf das, was Nathan sagte.
Und so fügte sie sich, nicht nur wegen des Respekts vor Philipp, dem Frommen. Auch wenn sie mit Gott gebrochen hatte, durfte sie es nicht riskieren, die Vorschriften für die Trauerzeit zu missachten. Sie hätte sich damit im gesamten Land völlig unmöglich
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