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Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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Prozesses, doch sie begriffen schnell, dass hier Größeres geschah. Junge Männer stürmten an ihnen vorbei und riefen: »Folgt uns zur Antonia. Wir verjagen die Römer.«
    Die Aufrührer hatten den Augenblick gut gewählt, denn nun schlossen sich viele Leute vor dem Sanhedrin , ohnehin erregt, spontan ihnen an. Das Fieber griff um sich. »Barabbas«, schrien die Menschen, obwohl viele nicht wussten, wer Barabbas überhaupt war. Die meisten Leute rannten mit den anderen nordwärts zur Festung Antonia, doch nicht wenige stürmten nun, unterstützt von bewaffneten Aufständischen, die Treppen zum Sanhedrin hinauf. Die speculatora versuchte, sie zurückzuhalten, gegen den Volkszorn jedoch kam sie nicht an und wurde entweder niedergemacht oder ergriff die Flucht.
    Salome war westwärts bis zur »Halle des Salomo« gerannt und erkannte jetzt, dass das unklug gewesen war. Denn auch der Herodespalast befand sich im Westen, und dieser war von den Aufständischen zuerst gestürmt worden. Dutzende junge Männer, halbe Kinder noch, strömten, mit blitzenden Dolchen und faustgroßen Steinen bewaffnet, von dort heran. »Reich Gottes, Reich Gottes«, skandierten sie unentwegt.
    Keuchend rannte Salome in den inneren Tempelbezirk und durch ein bronzenes Tor in den so genannten Vorhof der Frauen. Nun rächte sich, dass sie als Kind nur selten an Opferzeremonien teilgenommen hatte – und wenn doch, dann nur mit geschlossenen Augen, weil sie das Schächten der Lämmer nicht mit ansehen konnte. Sie fand sich in den zahlreichen Haupt- und Nebenhöfen des Tempelbezirks nicht zurecht und wusste nicht, wohin sie fliehen sollte. Vom Frauenhof aus rannte sie durch den Israelitenhof, der eigentlich nur Männern vorbehalten war. Doch es befand sich ohnehin niemand hier. Auch der Priesterhof war leer. An einem von zahlreichen Tieropfern rosa gefärbten Steinblock vorbei gelangte sie nach zwölf Stufen in das Innere des eigentlichen Tempels. Sie befand sich im sanktuar , dem Vorraum zum Allerheiligsten, wo sonst nur Priester Zutritt hatten. Links von ihr dampfte Weihrauch aus zwei Schalen, rechts standen ein goldener Leuchter und ein Tisch mit Opferbroten. Geradeaus, hinter einer zehn Meter hohen, goldbeschlagenen Tür, war das Allerheiligste aufbewahrt, die Bundeslade.
    Sie blickte sich nervös um. Würde sie hier ein Priester entdecken, war es unwichtig, welches Urteil sie in der Sache des Ehebruchs erhielt, denn dann wäre ihr der Tod ohnehin sicher. Zwar befanden sich die meisten Priester im Sanhedrin , doch es war nicht ausgeschlossen, dass …
    Sie hörte Geräusche aus dem Allerheiligsten und floh wieder hinaus, diesmal in Richtung des Sanhedrin . Menschen liefen durcheinander, wobei man ihnen nicht ansah, ob sie flohen, einfach nur neugierig waren oder nach Opfern suchten, Priester stürzten zu Boden, blutige Kleidungsfetzen lagen auf den Fliesen des Tempelbezirks, überall sah sie tote speculatores . Chaos breitete sich in Jerusalem aus.
    Der Zorn des Volkes verselbstständigte sich und machte keinen Unterschied mehr zwischen den Römern und der eigenen jüdischen Obrigkeit, die sie so oft im Stich gelassen und verraten hatte. Die speculatora , die jüdische Polizei, war plötzlich auch Feind und Abtrünniger, der Sanhedrin ein verlängerter Arm der römischen Gewaltherrschaft. Unter dem Druck Dutzender Körper gaben die Tore zur Gerichtshalle nach, und die Menge ergoss sich wie eine Flut in den Saal. Sie packten, wen sie gerade in die Finger bekamen, und schlugen mit Knüppeln auf jeden ein. Nur Kaiphas und die Tempelpriester rührten sie nicht an, alle anderen wurden malträtiert, so dass der Saal, der sonst widerhallte von kleinlichem Gezänk, unter Schreien von Angst und Schmerz erzitterte.
     
    Salome war eine der Letzten, die durch ein kleines Nordtor in die Festung Antonia gelangten. Hinter ihr fielen die Riegel ins Schloss, und wer immer noch da draußen war, war der Wut der Massen ausgeliefert. An der Südseite war es einigen Aufständischen sogar gelungen, in die Burg einzudringen, doch sie konnten unter Aufbietung aller Kräfte getötet oder vertrieben werden. Rings um die Mauern schrien und tobten die Massen, Steine flogen, vereinzelt bohrten sich Speere in den Boden des Burghofes. Römische Legionäre und jüdische speculatores hetzten konfus durch die Gänge, auf der Suche nach decuries und centuries , den Offizieren.
    Salome wusste, wo sie den obersten Kommandanten finden würde, und stieg atemlos die steile Treppe zum

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