Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
seinem Platz erhob und die Hände hob, ebbte der Sturm der Entrüstung langsam ab.
»Welchen Grund, hohe Mitglieder des Sanhedrin , sollte Nathan wohl haben, hier zu lügen?«
Salome kannte mehrere Gründe. »Sehr wahrscheinlich hat er mich immer als seine Rivalin um Philipps Gunst angesehen. Bis heute trägt er mir nach, dass Philipp mich liebte. Außerdem will er seinem Fürsten einen letzten Dienst erweisen, deshalb hat er auch alle Spuren verwischt, die zur wahren Ursache von Philipps Erkrankung geführt hätten. Und er verachtet mich, seit ich aus Masada zurückgekommen bin. Er hat Gerüchte verbreitet, im Gefolge Stimmung gegen mich gemacht, mir Informationen vorenthalten, und das alles nur, weil ich in Masada getanzt und damit seiner Meinung nach Philipp in Verruf gebracht habe.«
Jehudah griff das Stichwort auf. »Reden wir über den Tanz.«
»Was hat der mit meinem angeblichen Ehebruch zu tun?«
»Du warst nackt. Ich habe es selbst gesehen.«
»Und du hast dennoch nicht bei mir gelegen.«
Er riss die Augen auf. » Selbstverständlich nicht.«
»Also was soll meine Nacktheit in diesem Fall beweisen? Hundert Menschen haben gesehen, wie Gott mich geschaffen hat, so weit so gut. Das bedeutet allerdings nicht, dass ich …«
»Es bedeutet«, fiel Jehudah ihr ins Wort, »dass du eine schamlose Person bist, die nicht davor zurückschreckt, ihren Gemahl in Verruf zu bringen. Und es entspricht doch wohl der Wahrheit, dass Philipp von deinem Auftritt betroffen war, oder?«
»Er war nicht glücklich darüber.«
»Er war entsetzt.«
»Ich weiß es so wenig wie du.«
»Du weißt es deshalb nicht, weil er so entsetzt war, dass er nicht mehr mit dir gesprochen hat.«
»Er hätte sich wieder mit mir versöhnt.«
»Womöglich, wenn er nicht vorher an den Schandtaten verzweifelt wäre, die du begangen hast. Von jeher warst du eine schlechte Gläubige unseres Volkes, zweifelnd an Gottes Gesetzen, widerspenstig gegen die Verkünder der Worte des Herrn, zugetan den Unbeschnittenen und Halbgläubigen in unserem Land, trotzig gegen die alten Sitten und Bräuche. Die Synagogen hast du gemieden, die Rechte der Juden Basans untergraben, die persischen und ägyptischen Sklaven befreit, kurz gesagt, du hast alles getan, um dich außerhalb unserer Gemeinschaft zu stellen, außerhalb der thora , die unser Volk zusammenschmiedet. Da passt es nur ins Bild, wenn du auch das siebte Gebot brichst, nachdem du zuvor schon andere gebrochen hast.«
»Das ist noch immer kein Beweis«, konterte sie.
»Hier steht der Beweis in Fleisch und Blut vor uns«, rief Jehudah, sich an die Mitglieder des Sanhedrin wendend. »Nathan bezeugt, die beiden Sünder gesehen zu haben, als sie beieinander lagen. Das Wort eines aufrichtigen Juden, der sich nie etwas hat zuschulden kommen lassen, steht gegen jenes einer Frau, die in Masada wie eine babylonische Hure vor Volk und Soldaten getanzt hat.«
»Und vor einem Mann, dem du bis vor kurzem gedient hast«, fügte Salome hinzu.
»Das tut hier nichts zur Sache«, wiegelte Jehudah ab. »Beantworte den hier versammelten Vätern des Volkes drei Fragen, Salome, mit Ja oder Nein. Erstens: Beharrst du auf deiner Aussage, dein Gemahl Philipp von Basan habe bei Männern gelegen und sei an einer dadurch hervorgerufenen Krankheit gestorben?«
Schon diese erste Frage wahrheitsgemäß zu beantworten, fiel ihr nicht leicht. Es war nicht ihre Absicht, Philipps Andenken zu beschmutzen, und für sie galt es auch nicht als beschmutzt. Die Menschen dagegen würden niemanden in Ehren halten, der ein Sodomit gewesen war, wie sie das in Anlehnung an die ausschweifenden Verhältnisse des von Gott vernichteten Sodom nannten. Trotzdem, nun wo Philipps Neigung bereits zur Sprache gekommen war, wollte sie auch bei der Wahrheit bleiben.
»Ja«, antwortete sie und löste damit ein weiteres Aufseufzen der bärtigen Männer aus.
Jehudah grinste. »Zweitens: Hast du Zweifel an der Gültigkeit der thora und der anderen heiligen Schriften, an ihrer Urheberschaft durch Gott den Herrn, an ihren Aussagen bezüglich der Entstehung der Welt, an ihren Gesetzen, Geboten und Strafen, an ihren Regeln und Richtlinien?«
Salome wusste, dass eine ehrliche Antwort ihr schaden würde. Aber mit welchem Recht durfte sie andere Lügner und Heuchler nennen, wenn sie selbst bei so grundsätzlichen Fragen wie dem Glauben log und heuchelte? Es gab nur eine Antwort darauf: »Ja, ich habe an einigen Stellen der thora Zweifel, mehr noch, ich halte
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