Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
dieser Vorschlag nicht, er wollte jedoch um jeden Preis einen Kleinkrieg zwischen den Sekten verhindern. »Wie soll das vonstatten gehen?«, wollte er wissen.
»Ganz einfach, mein König. Du ersuchst die Zeloten öffentlich, alle Christiani aufzuspüren. Sobald die Abtrünnigen gefasst sind, übergeben wir sie dem Sanhedrin zur Aburteilung. Auf diese Weise leistet jeder seinen Beitrag im Kampf für unseren Glauben. Die Juden werden dir diese Tat ewig danken.«
Agrippa rang noch drei Tage mit sich und war in dieser Zeit mehrmals versucht, Salome um Rat zu fragen. Am Ende siegte immer seine Eitelkeit. Der Gang zu seiner Nichte wäre ihm wie ein Kniefall vorgekommen. So folgte er schließlich Kephallions Strategie.
Damit hatte Kephallion ein weiteres Etappenziel erreicht. Er konnte nun Sadoq endgültig davon überzeugen, dass der König und das Land die Zeloten dringend benötigten. Sadoq wollte trotz seines Alters die bevorstehende Aufgabe koordinieren, doch Kephallion redete auf ihn ein:
»Du bist wie Moses«, meinte Kephallion schmeichlerisch. »Du hast uns eine gute Strecke geführt. So wie Moses den Stab an Aaron übergab, solltest du ihn nun mir übergeben.«
Sadoq übertrug schließlich zwar nicht die Führung der Zeloten, jedoch die Verantwortung für die Verfolgungen Kephallion.
Die erste Folge dieser Entscheidungen des Königs und Sadoqs nahm sich noch vergleichsweise harmlos aus. Kephallion bezog mit Zustimmung Agrippas zum ersten Mal seit dem Tod des großen Herodes wieder Gemächer im Palast, was natürlich bedeutete, dass Berenike und Menahem Jerusalem verließen. Es wäre ihnen unmöglich gewesen, mit Kephallion unter einem Dach zu leben, auch wenn es ein riesiges Dach war. Salome bot ihnen den Palast in Ashdod an, blieb selbst aber noch in der heiligen Stadt. Sie wollte Kephallion und Agrippa im Auge behalten.
Kaum waren die beiden abgereist, hörte sie, dass Agrippa einem weiteren Vorschlag Kephallions nachgekommen war: Jerusalem sollte ein gigantisches Bauwerk erhalten – die Agrippa-Mauer, ein Bollwerk, das die ganze Vorstadt umschließen sollte.
Agrippa war in diesen Tagen bester Laune und dachte überhaupt nicht daran, die Prozesse gegen die Christiani abzubrechen, nachdem sie einmal begonnen hatten. Die Einigkeit im Sanhedrin war nie größer, außerdem waren die Urteile maßvoll: Öffentliche Zurschaustellung und Maßregelung sowie Geldbuße waren die häufigsten Strafen, selten eine Züchtigung. Das Volk zeigte Verständnis für die Maßnahmen. Wenn Juden sich vom wahren Glauben abwandten, konnte man das ja tolerieren – dass diese neuen Glaubensanhänger jedoch andere Leute auf ihre Seite ziehen wollten, empfanden viele als ungeheuerlich. Agrippa, so sagten sie, bestand seine erste wirkliche Herausforderung als König vortrefflich.
Wenig später zeichnete Agrippa jenen Mann, dem er seine weiter gewachsene Beliebtheit verdankte, vor dem versammelten Hof aus. Auch Salome musste zusehen, wie Kephallion vom König wieder in den Rang eines Prinzen von Judäa erhoben wurde.
Das Haus des Pharisäers Matthias lag inmitten der Unterstadt mit ihren verwinkelten Gassen. Anders als die Sadduzäer lebten die Mitglieder seiner Sekte bescheiden, Tafel und Einrichtung waren schlicht und die Kleidung schwarz. Zu ihren wichtigsten Utensilien, wenn sie das Haus verließen, gehörten das Gebetbuch und die Kopfbedeckung, und selbst in ihren vier Wänden legten sie diese ungern ab.
Matthias’ Hände krallten sich um die Rolle mit den Psalmen, als er Kephallion die Tür öffnete, und er hielt sich noch immer daran fest, als er sich gemeinsam mit ihm auf den Boden setzte, ein Stückchen Brot in Salz tunkte und es mit einem winzigen Schluck Wasser hinunterspülte.
»Ich wollte soeben mein Mittagsgebet halten«, erklärte er dem überraschenden Besucher.
»Wenn du mir nur ein wenig Zeit schenkst, können wir im Anschluss gemeinsam das minsha beten.«
Matthias nickte. »Also, was zieht einen Zeloten in das Haus eines Pharisäers?«
»Der gemeinsame Gott.«
»Mein Gott liebt die Frommen, deiner die Gewalttätigen. Kann das derselbe sein?«
»Du vergisst wohl, dass wir schon längst in seinem Namen zusammenarbeiten. Dass du es warst, der meinen Vorschlag angenommen hat, gemeinsam vor den König zu treten, um unsere Feinde zu besiegen.«
»Ein Bündnis auf Zeit«, wandte der Pharisäer ein und hob mahnend den Zeigefinger. »Des Königs falsche Ratgeber und die Christiani sind schlimmer als ihr
Weitere Kostenlose Bücher