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Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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Das tat er oft. Er erzählte von seiner Freundschaft mit Agrippinos, von Spielen und Ausflügen, Abenteuern und Problemen, von seiner Vorliebe für Pferde und dass er eines Tages Wagenlenker oder Kundschafter werden wolle. Manchmal ließ Salome ihn allein, denn sie mutmaßte, dass Gilead seinem Vater vielleicht auch das eine oder andere mitteilen wollte, das nicht für ihre Ohren bestimmt war. Es kam vor, dass er ihr Fragen stellte, die schwer zu beantworten waren, beispielsweise, wie es sein könne, dass sein Vater gestorben war, bevor er auf die Welt kam. »Ich dachte, ihr habt mich gemeinsam auf die Welt gebracht?«, hatte er sie schon mehrmals gefragt. Anfangs druckste sie herum, bis sie irgendwann das schelmische Zucken um seine Mundwinkel bemerkte und auf den Gedanken kam, dass Gilead von seinem älteren Freund mehr über die Entstehung des Lebens wusste, als er vorgab, und ihre Unsicherheit geradezu auskostete.
    Er war ein Strolch, und Salome fragte sich, ob Timon in seinem Alter ebenfalls diesen augenzwinkernden Humor besessen hatte.
    Heute war er etwas ruhiger und ernster als sonst, doch das konnte sich bei ihm auch schnell wieder ändern. Sie richtete sich auf, nahm ihn in den Arm und sagte: »So, das wäre geschafft. Das wird der Baum von uns dreien.«
    »Wann können wir die Früchte essen, Mutter?«
    »Wenn du ein Mann bist.«
    »Also im nächsten Jahr schon?«
    Sie lächelte und fuhr ihrem Kleinen über die lockigen schwarzen Haare. »Im übernächsten – vielleicht.«
    »Und wann können wir unter seinen Zweigen sitzen?«
    »Wenn ich am Stock gehe.«
    »Du doch nicht!«
    Sie blickte ihn mit einer Mischung aus Glück und Schmerz an, und plötzlich wurde sie von ihren Gefühlen überwältigt und drückte Gilead fest an sich. Sie hatte schon so vieles in ihrem Leben verloren. Für jeden Schritt vorwärts hatte sie zwei zurückmachen müssen, und Menschen, die sie lieb gewonnen hatte, waren aus ihren Händen gerissen worden. Dieser Junge, ihr Sohn, war das Wichtigste und Beste in ihrem Leben. Für ihn hätte sie alles andere hingegeben, woran ihr lag. Etwas in ihr wollte ihn nie wieder loslassen, aus Angst, er könnte ihr genommen werden wie so viele und vieles andere. Aber ihr war klar, dass sie ihn nicht würde festhalten können – und nicht dürfen. Eines Tages ginge er aus der Tür, setzte sich auf sein Pferd und ritt davon. Sie wusste es. Sie träumte es. Sie sah dieses Bild immer wieder vor sich, und sie überlegte sich, was sie ihm in dieser Stunde, die irgendwann kommen würde, sagen konnte.
    »Ich liebe dich, mein Kleiner«, sagte sie und küsste ihn auf die Stirn.
    »Ich habe dich auch lieb, meine Große.«
    Sie lachten, und dann wässerten sie das zarte Pflänzchen, das einmal ein Schatten spendender Baum werden sollte, noch einmal.
    »Sieh, Mutter«, sagte Gilead plötzlich und zeigte auf einen Reiter, dessen Rappe sich gerade auf den »Berg des Ärgernisses« mühte, auf dem sie standen. »Wer mag das sein?«
    Salome erkannte sofort, wer es war. Ein feines Lächeln zog über ihr Gesicht.
    »Aristobul«, rief sie dem Reiter entgegen und winkte.
    Als er abstieg, schien es ihr, als wolle er sie zur Begrüßung umarmen, denn er strahlte wie ein heimkehrender Ehemann über das ganze Gesicht. Doch im letzten Moment ließ er davon ab, denn Gilead stand nur einen Schritt entfernt.
    Salome blickte an sich herab und stellte fest, dass ihre Hände schmutzig waren und sie zwischenzeitlich auch ihr Gewand besudelt hatte. »Immer, wenn wir uns begegnen, sehe ich aus wie eine Landmagd«, scherzte sie.
    Sie lachten, und die Spannung löste sich.
    »Ich bin Aristobul«, stellte er sich Gilead vor.
    »Der König von Armenien«, stellte der Junge fest. »Ich habe dich damals in Rom gesehen.«
    »Du erinnerst dich an mich?«
    Gilead wiegte den Kopf zur Seite. »Mehr an dein Pferd.«
    Aristobul lachte, und Salome stimmte ein. Während Gilead den Rappen musterte, sagte sie: »Du hast dein Versprechen also wahr gemacht.«
    »Ich habe die erstbeste Gelegenheit genutzt, dich zu besuchen. Und als Agrippa mich einlud … Mir scheint, du weißt nichts von der Einladung, oder?«
    »Ich erfahre so gut wie nichts mehr. Agrippa hat sich verändert, seit wir in Judäa sind.«
    »Tut mir Leid zu hören«, sagte er. »Jedenfalls hat er mich und einige andere Klientelkönige der Römer eingeladen, einige Tage in Jerusalem zu verbringen. Ich schätze, er will ein bisschen vor uns angeben, das hat er immer schon gerne

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