Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
jene Frau, der sie einst den Prozess gemacht und die sie später unter Agrippa bekämpft hatten, als Souverän anzuerkennen. Auch Kephallion sprach vor der Versammlung und heizte die Stimmung noch einmal an. Doch es half ihm nichts. Man kam nicht darum herum, dass Agrippinos selbst es gewesen war, der Salome den Titel verliehen hatte. Der junge König war im Volk äußerst beliebt, obwohl man fast nichts von ihm wusste. Allein die Tatsache, dass seine Existenz Judäa vor einer neuerlichen Besetzung durch die Römer bewahrte, machte ihn zum großen Hoffnungsträger. Zudem kannte man bei den Pharisäern die List und Entschlossenheit Salomes zur Genüge, und so wagte der Sanhedrin nicht, sich zu diesem Zeitpunkt auf einen Machtkampf mit Agrippinos und der »Löwin« einzulassen. Das Huldigungsschreiben wurde abgesandt und beinhaltete auch die Grußformel an Salome.
Für Kephallion liefen die Dinge schlecht. Er hatte sich verrechnet, als er glaubte, die aufgeputschte Stimmung weitertragen zu können, und Agrippinos’ überraschender Meisterstreich mit Salome tat ein Übriges. Der Junge würde sich nicht kontrollieren lassen, und er konnte vorerst auch nicht entmachtet werden. Binnen zwei Wochen redete niemand mehr von Verfolgungen. Auch der Sanhedrin ließ dieses Thema fallen. Die Zeloten standen allein da, Sadoq redete bereits wieder von der Auflösung der Sekte, und Agrippinos leitete Schritte ein, Kephallion den Prinzentitel abzuerkennen. Es sah so aus, als hätte Salome ihn endgültig besiegt.
Doch dann traf eine Nachricht ein, die niemand erwartet hatte. Als Kephallion davon hörte, konnte er es zuerst nicht glauben. »So dumm können doch nicht einmal die Römer sein«, rief er. Als die Meldung sich bewahrheitete, brach er in ein schallendes, nicht enden wollendes Gelächter aus.
Fünf fast reglose Körper saßen um eine Tafel versammelt, die alle Köstlichkeiten bot, die aber nicht angerührt wurden. Agrippinos und Salome hatten zur Begrüßung für Berenike und Menahem ein Festmahl aufgetischt. Die beiden waren aus Ashdod gekommen, um zu gratulieren, und waren mit großer Freude über sie hergefallen. Sie hatten noch nicht gewusst, was Salome, Agrippinos und Gilead kurz zuvor erfahren hatten.
Rom erkannte die Machtübergabe an Agrippinos und Salome nicht an. Kaiser Claudius hatte sich bei der Ernennung Agrippas jenen Vorbehalt zusichern lassen, den auch Herodes vor vielen Jahrzehnten Augustus geben musste, nämlich ein Einspruchsrecht in das königliche Testament. Dem Einspruch des Kaisers war keine Begründung beigefügt, aber Salome, die die Geschehnisse in Rom nie völlig aus den Augen ließ, konnte sich einen Grund zusammenreimen. Der neue Prokurator, der in der Botschaft angekündigt wurde, Fabius Felix, war ein Günstling am römischen Kaiserhof, der vor allem Claudius’ Gemahlin nahe stand. Salome konnte sich lebhaft vorstellen, was auf dem Palatin in den Tagen nach Eintreffen der Nachricht von Agrippas Ableben vorgegangen war. Die Statthalterschaften der rund vierzig Provinzen des Imperiums waren heiß umkämpft, denn nur über den Umweg einer Prokuratur konnte man Karriere in Rom machen. Jeder, der am Hof etwas zu sagen hatte, wollte eigene Günstlinge fördern, und da die Zahl der Ämter begrenzt war, wurde nach Kräften intrigiert. Da kam es den Kratzfüßen sehr gelegen, dass eine ehemalige Provinz ihren König verlor. Claudius war vermutlich von den verschiedensten Klüngeln bedrängt worden, Judäa wieder zur Provinz zu machen, und lieferten dem Imperator »vernünftige« Begründungen für ein solches Vorgehen: Agrippinos sei zu jung, Agrippinos könne sich nicht gegen die konservativen Kräfte im Land halten, Agrippinos sei einer Frau hörig, und überhaupt sei eine umstrittene Person wie Salome in einer solchen Machtposition untragbar. Schnell hatten sie den Kaiser mit vereinten Kräften überzeugt und begannen dann, um den Posten eines Prokurators zu streiten. Einer von ihnen, eben dieser Felix, hatte das Rennen gemacht.
»So eine Gemeinheit«, schimpfte Berenike, nur um irgendetwas zu sagen. »Die Entwicklung eines ganzen Landes, das Schicksal Hunderttausender, wird der Geldgier und Karrielelust einer Hand voll Nichtsnutze geopfert.«
»Ich reise nach Rom«, sagte Agrippinos; er glaubte allerdings selbst nicht, dass er dort etwas bewirken könne.
»Claudius hat kein Rückgrat«, seufzte Salome. »Ich habe ihn damals kennen gelernt. Er ist gewiss nicht so dumm, wie er zunächst
Weitere Kostenlose Bücher