Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
scheint, aber er ist ein Leben lang von seiner Mutter Antonia beherrscht worden. Und nun sind es eben die Ehefrauen, die ihn beherrschen. Felix ist der Günstling der Kaiserin. Glaube mir, Agrippinos, ich weiß, wovon ich rede, wenn ich sage, dass ein schwacher Mann keine Chance gegen eine starke Frau hat.«
Er ließ die Schultern hängen. »Irgendetwas müssen wir doch tun können.«
Menahem wusste zu berichten, dass eine Legion aus Syrien bereits die Grenze nach Judäa überschritten hatte. »In Jerusalem, Jesreel und Jericho kam es schon zu kleineren Ausschreitungen. Einige römische Kaufleute wurden zusammengeschlagen und ausgeraubt.«
»Das ist die Antwort auf deine Frage, Agrippinos«, sagte Salome. »Wir müssen das Volk zur Ruhe aufrufen. Mehr können wir nicht tun, bis der Prokurator eintrifft.«
»Es gibt noch etwas«, widersprach Menahem. »Lasst Kephallion und Sadoq verhaften. Denn die Zeloten werden jetzt einen Zulauf bekommen, wie sie ihn noch nie hatten – und sie werden ihre neue Stärke ausnutzen, das könnt ihr mir glauben.«
Keine zwanzig Tage war Salome Königin Judäas gewesen, und diese knapp drei Wochen wurden noch nicht einmal in die Annalen des Landes aufgenommen. Der Sanhedrin verweigerte den Eintrag ihres und Agrippinos’ Namen in die Reihe der Könige, da – wie es hieß – ihr Titel von Anfang an nicht legitimiert gewesen sei. Die Pharisäer hatten immer schon gemeinsame Sache mit den Römern gemacht, wenn es darum ging, ihren Einfluss auf das Volk zu behalten. Nach außen »bedauerten und verurteilten« sie den neuerlichen Einmarsch der Römer. Tatsächlich jedoch freuten sie sich, dass Agrippinos und Salome abgesetzt waren, und schickten dem neuen Prokurator heimlich Ergebenheitsadressen entgegen.
Felix wusste sehr wohl, dass die abgesetzten Herrscher sich in Caesarea aufhielten. Er landete jedoch mit seinem Schiff im syrischen Antiochia und reiste von dort, an Caesarea vorbei, direkt nach Jerusalem, wo er den Herodespalast in Beschlag nahm. Als Salome und Agrippinos davon hörten, reisten sie ihm in die heilige Stadt nach. Dort wurden sie zunächst nicht vorgelassen. Drei volle Tage warteten sie darauf, dass Felix sie empfing, und als es endlich so weit war, fiel seine Begrüßung ausgesprochen unfreundlich aus.
»Ihr beide«, bellte er sie an, »habt, obwohl ihr bereits das Schreiben des erhabenen Kaisers erhalten hattet, noch Regierungshandlungen vorgenommen.«
Felix’ Gesicht erinnerte Salome an das eines überfressenen Hundes. Er war nicht größer als Agrippinos, dafür viermal so breit, und er schnaufte und ächzte bei jedem Schritt, als habe er soeben die Wüste Juda mit schwerem Gepäck durchwandert.
»Ja«, erwiderte sie fest, »wir haben das Volk zur Ruhe aufgerufen, damit es dich nicht mit Steinen empfängt.«
Er blies die dicken Backen auf. »Du wirst deine ironischen Bemerkungen künftig unterlassen.«
»Prinzessin«, sagte sie.
»Was?«
»Künftig unterlassen, Prinzessin, heißt es korrekt, edler Felix.«
»Was in dieser Provinz korrekt ist und was nicht, bestimmt der Vertreter des Kaisers. Und das bin ich. Nicht korrekt, zum Beispiel, war die Fahndung, die ihr angeordnet habt. Ich habe den Befehl daher aufgehoben.«
»Wie bitte?«, rief Salome erbost.
»Ich wiederhole mich nicht gerne. Ihr hattet keine Befugnis mehr, Fahndungen auszugeben.«
»Sadoq und Kephallion sind die Anführer der Zeloten«, schrie Salome ihn an. »Die Verhaftung wäre im Sinne Roms gewesen.«
»Du bist anmaßend«, entgegnete er. » Ich bin hierzulande Rom, und es ging mir bei dem Widerruf eures Befehls ums Prinzip. Ihr dürft jetzt gehen.«
»Oh, vielen Dank«, blaffte Salome ihn an. »Wohin sollen wir, deiner Meinung nach, gehen? Du hast unseren Palast bezogen.«
Felix schlug mit der fleischigen Faust auf den Tisch. »Diese Unterhaltung beginnt, mich zu ärgern. Du besitzt eine Stadt, hörte ich. Dorthin wirst du gehen, und dort wirst du bleiben. Agrippinos wird Jerusalem nicht verlassen, sondern Gemächer hier im Palast beziehen.«
»Ich will nicht allein hier bleiben«, sagte er.
Felix’ Faust donnerte ein zweites Mal nieder. »Bei allen Göttern, du tust, was ich befehle. Ich werde nicht zulassen, dass du dich am gleichen Ort wie diese Ränkeschmiedin aufhältst.«
Nach dieser Äußerung war Salome klar, dass der Sanhedrin oder zumindest einige seiner Mitglieder den Prokurator in ihrem Sinne über Salome aufgeklärt hatten. Welche Lügen man ihm erzählt
Weitere Kostenlose Bücher