Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
von den schrecklichen Schlägen, die das Schicksal austeilt. Das arme Ding hofft bestimmt auf dein Fürstentum. Und du wirst sie ganz sicher nicht doch begünstigen wollen – irgendwie?«
Akme grinste schief. Ihre so genannte Freundin wurde mit jedem Satz durchschaubarer. »Keine Sorge. Du bekommst restlos alles. Du kannst gerne einen Vertrauten deiner Wahl benennen, der jederzeit Einsicht in mein Testament nehmen kann.«
»Oh, das wäre doch nicht nötig gewesen«, meinte Livia. »Da du es allerdings anbietest … Wir könnten auch eine Abschrift in Rom deponieren, was sagst du dazu?«
Akme atmete tief durch und nickte. »Wenn wir jetzt bitte wieder über meinen Thron sprechen könnten …«
Livia gönnte sich einen etwas größeren Schluck des Weines. »Ja richtig, der Thron«, erwiderte sie. »Meine Liebe, es bedarf nur noch eines Funkens, und der Weg dorthin ist für dich frei, so viel kann ich versprechen. Nun liegt es bei dir, den Funken zu schlagen. Hast du schon eine Idee?«
Sie hatte eine. Archelaos musste mit einer Situation konfrontiert werden, die er nicht mehr beherrschen konnte. Wenn das Volk neuerlich in Unruhe geriet und wenn nur Gewalt es niederhalten konnte, dann wäre die Geduld des Augustus mit dem unfähigen Regenten sicher erschöpft.
»Augustus hat doch vor, die Menschen des Imperiums zählen zu lassen, nicht wahr?«
Livia nickte. »Doch nur die Reichsbewohner, meine Liebe. Die Völker der Schutzkönigreiche sind ausgenommen.«
»Nun«, sagte Akme, »dann solltest du ihn davon überzeugen, dass die Zählung auch auf sie ausgedehnt wird.«
Beim ersten Blick in den Spiegel erstarrte Salome wie einst Lots Frau vor Sodom. Sie erkannte sich beinahe selbst nicht mehr, so sehr hatte sie sich in den letzten beiden Tagen verändert, und für einen Moment schämte sie sich fast für diese Veränderung. Ihre schwarzen Haare trug sie über den Ohren kreisförmig geflochten und zusammengesteckt, außerdem waren sie aus der Stirn nach hinten gestrichen und mit einer Kette winziger Perlen fixiert, die nicht nur hübsch aussah, sondern auch von dem immer noch dünnen Haarwuchs ablenkte. Die weiße Tunika trug sie heute zum ersten Mal; sie strahlte wie der Mond in der Nacht auf ihrer dunklen Haut. Die Ärmel reichten unvorteilhaft lang bis zu den Ellenbogen, um die Hautausschläge am Oberarm zu verdecken, aber zwei silberne Armreife an ihren Handgelenken zogen den Blick auf sich und machten einiges wieder wett. Was sie wirklich erschreckte, war das Karmesin auf ihren Lippen, das rot wie Anemonen leuchtete. Ob das die richtige Aufmachung für ein unverheiratetes Mädchen war, an einem Hof, der von Jungen und Männern nur so wimmelte? Gewiss, Berenike sah geradezu bezaubernd aus, doch sie war von Natur aus hübsch und putzte sich mit Ausnahme der gelockten Haare nicht heraus. Sie dagegen … Das könnte Kritik geben. Und wenn ihr Vater sie erst sähe, wenn er zu einem seiner Besuche nach Ashdod kam. Er wäre imstande, sie mit nach Jebna zu schleppen und in einen finsteren Raum einzusperren, wo sie von morgens bis abends sticken und religiöse Lieder singen müsste. Aber es war zu verlockend, sich ihren Mitschülern – und Timon – einmal so zu zeigen wie jetzt.
Sie drehte ihren Kopf, um sich im seitlich einfallenden Tageslicht besser studieren zu können. Sie musste gestehen: Wenn sie lächelte, hob sich das Weiß ihrer Zähne wunderbar von den Lippen ab, und wenn sie erst die tropfenförmigen Silberohrringe trug, die ihre Mutter ihr versprochen hatte …
Nein, das war zu viel, sie wollte gar nicht weiter darüber nachdenken. Sie nahm die Thoraabschrift unter den Arm und machte sich auf den Weg zum cheder auf der anderen Seite des Palastes.
Sie war dem Unterricht in den beiden vergangenen Tagen fern geblieben und hatte Unreinheit als Begründung vorgeschoben. Nach dem Vorfall im gyneikon , als Timon sie quasi verschmäht hatte, wäre es ihr unmöglich gewesen, ihm so, wie sie aussah, noch einmal unter die Augen zu treten.
Heute konnte sie es wagen. Ihre neuen, eleganten Sandalen mit den schmalen Riemen klackten auf den Mosaikfliesen der Gänge, und mit jedem Schritt, den sie tat, fühlte sie sich besser. Sie strich mit der Handfläche über die feine Wolle ihres Kleides, tastete über ihre Schläfen, spielte mit den Armreifen. Als sie endlich vor dem cheder ankam, bereute sie nichts mehr. So, wie es war, war es richtig.
»Seht euch die an«, rief Kephallion, der mit zwei anderen Jungen auf
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