Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
zufrieden. »Nicht doch, du musst nichts erklären und dich auch für nichts entschuldigen. Es ist alles genau richtig, mach dir keine Gedanken. Wehre dich bloß nicht gegen das, was gerade in dir vorgeht. Nimm es, wie es kommt, und tue, wonach dir ist. Wie heißt er?«
»Wer?«
»Stell dich nicht dumm. Ich weiß, dass nur ein Mann diese seltsam rötliche Färbung auf den Wangen – auf deinen Wangen – hervorrufen kann.«
»Bitte, Mutter, ich finde ihn lediglich wegen seines enormen Wissens interessant, sonst nichts.«
»Selbstverständlich«, bestätigte Herodias übertrieben. »Und wen findest du nur wegen seines Wissens interessant?«
»Timon, den Griechen, der gestern angekommen ist.«
»Ein Grieche ist gut, Kind. Die meisten Griechen haben Geld oder Eltern mit Geld. Und sie sind viel aufgeschlossener gegenüber den Bedürfnissen einer Frau als jüdische Männer.« Herodias überlegte kurz. »Meinst du etwa den kleinen Jungen mit den blond gelockten Haaren? Seiner Größe nach ist er zehn Jahre alt.«
Salome presste die Lippen zusammen. »Er ist in meinem Alter, fast siebzehn. Und er ist nicht klein, er ist so groß wie ich. Er hat schon mehr Abenteuer bestanden als alle Langweiler am Hof zusammengenommen und er …«
»Schon gut, schon gut. Ich wollte nur hören, wie du auf meine provokante Bemerkung reagierst. Und was ich gehört habe, reicht mir völlig. Ich weiß jetzt, womit ich es bei dir und deinem Griechen zu tun habe. Für den Anfang ist er übrigens gar nicht übel. Nimm ihn dir.« Herodias küsste ihren Scheitel. »Von heute an bist du erst so richtig meine Tochter. Und von heute an trägst du die Frisur einer Fürstin.«
Langsam rann der dunkelrote, fast schwarze Wein in den Kelch und verströmte seinen Duft von Waldbeeren. Livia nahm das Gefäß und atmete tief ein. Sie mischte etwas Quellwasser aus den Abruzzen zu dem Wein, streute getrocknete Kräuter hinein und atmete noch einmal tief.
»Hmm«, summte sie gedehnt. »Jetzt ist er richtig.« Sie nippte aber nur daran, dann stellte sie den Kelch wieder ab und machte eine einladende Handbewegung. Beide Frauen setzten sich.
»Danke für das Geschenk«, sagte Livia. »Augustus hat den Weinkeller seit Jahren mit schweren Sizilianern vollgestopft. Da kommen mir hundert Fässer von deinen eigenen Weinbergen sehr gelegen, liebe Freundin.«
Akme grinste. Sie war mit dem Anfang ihres Zusammentreffens mit Livia zufrieden. Nicht nur, dass sie umgehend von der Gemahlin des Augustus empfangen worden war, sie wurde auch mit herzlichen Worten begrüßt.
Dabei war Akme sich auf der Reise nach Rom nicht sicher gewesen, wie offen sie von Livia empfangen werden würde. Immerhin hatten sie sich erst dreimal persönlich gesehen. Das erste Mal vor über vierzig Jahren auf Rhodos während eines Treffens von Augustus und Herodes. Damals hatten sie binnen Augenblicken gemerkt, dass sie von gleicher Art waren, ehrgeizig, geschickt und konsequent, eine Mischung, die unter normalen Umständen ein guter Nährboden für eine langjährige Rivalität geworden wäre. Bei ihnen jedoch war es anders gekommen. Sie agierten in verschiedenen Bereichen, die eine im Zentrum derzeitiger Macht, die andere abseits des Weltgeschehens, die eine als Gattin eines Herrschers, die andere als Schwester eines solchen. Ihre Interessen kreuzten sich nie, sie liefen parallel, und gelegentlich konnten sie sich gegenseitig unterstützen.
Da sie sich auch dann verstanden, wenn sie nur Briefe tauschten, waren persönliche Treffen unnötig und wegen der großen Distanz und ihres fortgeschrittenen Alters auch anstrengend. Dieses Mal hatte Akme bewusst ein persönliches Treffen gewählt, denn damit unterstrich sie die Dringlichkeit und Bedeutung ihrer Absichten.
»Wir sind ganz unter uns«, erklärte Livia und machte eine Geste, die nicht nur den Raum, sondern den gesamten linken Flügel des Palatinischen Palastes umfasste. Hier hatte Livia ihren eigenen Wohnbereich errichten lassen, das domus Liviae , hier empfing sie ohne Einmischung von Augustus ihre Besucher und waltete wie eine Gutsherrin. Akme konnte in diesen Räumen völlig offen sprechen.
»Archelaos ist mir ein Dorn im Fleisch«, erklärte sie. »Er muss endlich entmachtet werden, damit ich den Thron Judäas besteigen kann.«
Livia seufzte und schüttelte bedauernd den Kopf. »Augustus ist noch nicht so weit, den Dummkopf abzusetzen, meine Liebe.«
»Ich weiß nicht, worauf er noch wartet«, sagte Akme ungeduldig. »Mein Neffe
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