Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
Vom Netzwerk:
die Haare raufen, könnte er sehen, was aus seiner geliebten römischen Republik geworden war.
    Sie seufzte und rollte das Pergament langsam wieder zusammen. Die Idee der Gewaltenteilung und der Beteiligung des Volkes an Entscheidungen war tot. Angesichts der römischen Besatzung sah Salome auch keinen Sinn darin, irgendwelche Gedankenspiele in dieser Richtung anzustellen, denn selbst die kleinsten Veränderungen kamen nur äußerst zäh voran.
    Seit vier Jahren war sie nun Stadtfürstin von Ashdod, besaß großen Reichtum und ein kleines Stück der Macht, von der sie früher immer geträumt hatte. Sie hing jedoch schon längst nicht mehr diesen Mädchenträumen nach, die palatinischen Gärten zu besuchen, zu den Pyramiden zu reisen oder vom Ätna aus in die Glutröte des Sonnenaufgangs zu schauen. Timon hatte ihr einst den Anstoß gegeben, die Macht weniger eitel einzusetzen und sie in den Dienst des Volkes zu stellen – manchmal auch gegen dessen Ängste. Seine Worte hatte sie zu ihren gemacht, und gewissermaßen regierte sie über Ashdod auch für ihn und das, woran er glaubte. Leicht war es nicht, vor allem, wenn man alleine war. Zu erneuern hieß, harte Arbeit zu leisten und jeden einzelnen Tag die Menschen zu gewinnen versuchen. Es hieß, ein Leben damit zuzubringen, aus einem Land der blind Gläubigen eines der Sehenden, Freien und Gerechten zu machen, das Land einer neuen Zeit.
    Nachdem sie vor vier Jahren Stadtfürstin von Ashdod geworden war, hatte sie festgestellt, dass sie ihre Vorstellungen nicht einfach in die Tat umsetzen konnte. Würdenträger und Beamte, der römische Prokurator und seine Offiziere, nicht zuletzt Theudion und Herodias – irgendjemand hatte immer einen Einwand, weshalb etwas nicht verändert werden durfte. Ihr Versuch, das polizeiliche Spitzelwesen in Ashdod abzuschaffen, stieß bei den misstrauischen Römern auf Widerstand, die nicht auf die heimlich gesammelten Informationen verzichten wollten; Herodias vereitelte eine geplante Befreiung der Kleinbauern von der Kopfsteuer, weil damit die Einnahmen Ashdods reduziert worden wären, und Theudion wandte sich vehement gegen die Einrichtung von Schulen für Mädchen. Der Streit darüber hatte Salome tief verletzt.
    »Was für eine unverschämte Idee«, hatte er gerufen. »Schulen für Mädchen! Womöglich noch mit Frauen als Lehrerinnen, wie?«
    »Warum nicht?«
    »Frauen wissen zu wenig über die thora .«
    »Natürlich, denn sie erhalten zu wenig Unterricht.«
    »Und du hast zu viel erhalten, scheint mir. Du lebtest zu lange unter dem Einfluss deiner Großtante. Sie hat auch nie gewusst, wo ihr Platz war.«
    »Sie hat nichts damit zu tun. Über Mädchenschulen hat sie nie gesprochen.«
    »Weil selbst sie wusste, dass Gott keine Frauen will, die Bücher lesen. Heißt es nicht: ›Gepriesen sei er, der mich …‹«
    »›… der mich nicht zu einer Frau gemacht hat‹, ja ja, dieser Satz kommt mir bekannt vor. Du hast ihn früher gerne verwendet, wenn du Mutter verletzen wolltest. In der Genesis heißt es aber auch: ›Jeder Mann, der keine Frau hat, ist kein Mensch.‹ Wenn wir es sind, die euch Männer erst zu Menschen machen, sind in Wahrheit vielleicht auch wir es, die euch erst zu klugen Menschen machen.«
    Theudion verschränkte die Arme vor der Brust. »Zacharias hat mir schon vor einiger Zeit erzählt, dass du nicht nur eine Meisterin darin bist, die Worte des heiligen Buches zu verdrehen, sondern auch, dass du unseren Glauben insgesamt verhöhnst und sogar verleugnest. Er hatte Recht, das Blut meines ungläubigen Vaters hat dich infiziert. Du bist keine mehr von uns, und solange ich lebe, werde ich verhindern, dass du heiratest und Ashdod mit deinem Gebaren unrein machst. Ich sorge dafür, dass jeder einzelne Buchstabe der thora diese Stadt auch weiterhin beherrschen wird.«
    Er hatte sich abgewandt und mit gedämpfter Stimme gesagt: »Wärst doch bloß du statt deines Zwillingsbruders kalt zur Welt gekommen, dann würde mir jetzt diese Schande erspart bleiben, eine Ungläubige mein eigen Fleisch und Blut zu nennen.«
    Dieser Satz war tatsächlich ein nachgeholter Dolchstoß. Von jenem Tag an war sie nicht mehr ihres Vaters Tochter, sie war für ihn die lebendige Schande, und sie selbst entfremdete sich dadurch ihm, den Traditionen und dem Glauben immer mehr. Nur noch einmal war er seither einer Bitte von ihr nachgekommen. Es war dabei um die Erfüllung eines Versprechens gegangen, das sie Timon einst gegeben hatte: der Kampf

Weitere Kostenlose Bücher