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Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen

Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen

Titel: Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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zurückgeben, Schmalenbach.«
    »Welche Bücher?«
    »Die, die ich dir vor kurzem ausgeliehen habe. 1976 oder 77. Die drei Bände. Das Kapital.«
    »Aber das ist doch längst verjährt, Pfeifenberger. Mach dich nicht lächerlich!«
    »Ich muss die Bände wiederhaben. Das war mein Hochzeitsgeschenk von Carola. Und ausgerechnet jetzt wird sie nostalgisch und will eine Widmung sehen, die sie angeblich da reingekritzelt hat.«
    »Das ist ein Vierteljahrhundert her«, lachte Schmalenbach.
    »Du kennst doch die Frauen. Bei denen ist alles so schrecklich gefühlsbeladen. Also …«
    »Ich habe sie nicht mehr.«
    »Wie kannst du Bücher weggeben? Bücher sind der letzte Garant unserer Kultur … ein …«
    »… ein Anachronismus«, konterte Schmalenbach. »Hast du selbst gesagt.«
    Pfeifenberger wurde nachdrücklich. »Die Bücher gehören immer noch mir. Ich verlange von dir, dass du mir mein Eigentum zurückgibst. Das ist eine Frage der Ehre, mein Lieber.«
    Also ging Schmalenbach zu Schimala. Er kannte den alten Fuchs und wusste, dass der Trödler ihm die drei Bände nicht mehr für zwei Euro zurückgeben würde. Er würde mindestens zehn Euro verlangen. 400% Gewinn in wenigen Tagen. Schmalenbach ärgerte sich jetzt schon über die Beutelschneiderei.
    Doch als er auf die drei Bände Kapital zeigte, die zwischen Und Jimmy ging zum Regenbogen und einem von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegebenen Sexualatlas standen, wurden Schimalas Augen feucht.
    »Nein! Niemals! Marx ist unverkäuflich. Damit bin ich groß geworden.«
    Schmalenbach biss auf die Zähne und bot erst fünf, dann zehn Euro.
    Doch Schimala blieb eisern: »Ich bin ja ein Freund des Kapitalismus, aber irgendwo muss der Profit vor den großen Gefühlen zurückstehen.«
    Schmalenbach rannte zu dem Antiquariat. Die Herren konnten sich plötzlich nicht mehr an die zwei Zentner günstiger Restbestände erinnern. Sie zauberten aber eine abgegriffene Ausgabe hervor, die sie als Liebhaberexemplar deklarierten, angeblich stammte sie aus dem Besitz von Joschka Fischer, der sie gegen einen Jahrgang Schöner Wohnen bei Jürgen Habermas eingetauscht hatte. Schmalenbach glaubte den beiden kein Wort – aber er löhnte zähneknirschend die 50 Euro. Die beiden lächelten zufrieden. Einer sagte: »Ein schönes Gefühl, auf einen Menschen zu treffen, der seinen Glauben an die Revolution noch nicht dem Kommerz geopfert hat.«
    Zu Hause saß Schmalenbach Stunden über dem Fälschen von Carolas Widmung. Als er Pfeifenberger dann die drei Bände auf den Tisch knallte, behauptete der dreist: »Die drei Bände, die ich dir ausgeliehen habe, waren nicht blau.«
    »Marx ist immer blau«, fuhr Schmalenbach ihn an.
    »Der Spaß hat mich 50 Euro gekostet.«
    Pfeifenberger blätterte. »Das ist auch nicht Carolas Schrift. Sie hätte mich niemals mein dicker Hase genannt. Ihre Widmung lautete: Dem Mann, der mich glücklich machen wird. Der Autor war auch nicht Marx, sondern …«
    Er grübelte. »Mabuse. Genau: Dr. Mabuse.«
    Schmalenbach packte seine Bücher und lief nach Hause. Elke war gerade dabei, den Platz für die Anrichte auszumessen. Schmalenbach presste Das Kapital wieder in die frei gewordene Lücke. Elke bekam einen Wutanfall. Sie griff nach dem erstbesten Buch, um es aus dem Fenster zu schleudern. Schmalenbach versuchte, ihr das gute Stück zu entwinden: Es war Marcuses Der eindimensionale Mensch. Es fiel zu Boden und klappte auf. Eine Widmung. Dem, der mich glücklich machen wird. Beide verharrten andächtig.
    »Wie konnte ich nur!«, schluchzte Elke. »Unser Buch aus dem Fenster werfen zu wollen! Mit meiner Widmung. Verzeihst du mir?«
    Schmalenbach tat es großmütig. Zusammen räumten sie die Bücher wieder ein. Danach las Schmalenbach ihr aus Marcuse vor. »Was meinst du?«, fragte Elke irgendwann. »Welche Buchstaben aus dem Großen Brockhaus brauchst du am allerwenigsten? X? Y? Z? Oder E?«

Der Telefonbucheintrag
     
    Morgens um halb neun klingelte das Telefon. »Das hat nichts Gutes zu bedeuten«, sagte Elke mit vollem Mund – obwohl sie sonst nie mit vollem Mund sprach.
    Schmalenbach schaute auf die Küchenuhr. »Eigentlich bin ich um diese Zeit schon im Büro – es kann also nur für dich sein.«
    Elke stellte die Kaffeetasse ab. »Du vergisst, dass ich seit Jahrzehnten vor dir aus dem Haus gehe, Schmalenbach. Nur heute bin ich später dran. Das kann der Anrufer aber nicht wissen.«
    »Wahrscheinlich hat sich jemand verwählt.«
    Es klingelte

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