Die Schlüssel zum Königreich 01 - Schwarzer Montag
durchschaut.«
»Ich dachte, Abenddämmerung hätte Ihnen erzählt, wer ich bin?«, bemerkte Arthur. Pravuil wurde mit der Zeit nicht unbedingt vertrauenswürdiger.
»Nun ja, das hat er, aber ich hatte bereits mehr als nur eine leise Ahnung, wer was ist.«
»Erzählen Sie mir von den Sekundären Reichen«, forderte Arthur ihn auf. »Was sind die denn eigentlich?«
»Hm, sehr verzwickte, schwierige Frage«, entgegnete Pravuil. Er nahm seinen zerschlissenen Hut ab und kratz te sich am Kopf. »Da ist das Haus, seht Ihr, das ist hier. Dann ist da das Nichts, das nicht hier ist, aber das Haus ist darauf gebaut. Und dann gibt es noch die Sekundären Reiche, die da draußen sind, außerhalb des Hauses und nicht mit dem Nichts verbunden. Die Sekundären Reiche sind alle entstanden als eine Art Nichts, das die Architektin einfach dort hinausgeworfen hat, und das hat sich dann ausgedehnt zu allen möglichen Dingen wie Sternen und Planeten und so weiter, und dann haben sich einige dieser Planeten weiterentwickelt, und lebendige Dinge sind darauf entstanden, und wir im Haus bewahren darüber die Aufzeichnungen, zusammen mit allem anderen, aber das ist schon alles. So lautet das Ursprüngliche Ge setz. Keine Einmischung, ist nicht zulässig! Nur beobach ten und aufzeichnen! Na ja, als Erster ist der Alte dort rausgegangen und hat sich ganz schön eingemischt, aber er ist angekettet worden. Geschieht ihm recht, sage ich! Dann haben sich die Treuhänder ein ganz kleines bisschen eingemischt, als die Architektin zum ersten Mal weggegangen ist, und dann ein bisschen mehr, und es würde mich nicht überraschen, wenn sie alles Mögliche angestellt haben, aber ich werde ja hier unten festgehal ten, also kann ich es nicht wissen, aber ich sage, wenn ein Sterblicher hier auftaucht mit dem Geringeren Schlüssel des Unteren Hauses, dann muss da einiges vor sich ge hen, was nicht vor sich gehen sollte.«
Pravuil hielt inne, um Luft zu holen. Gerade als er fortfahren wollte, ertönte von fern ein Schrei. Ein Schrei, der Arthur erschaudern ließ und ihm Übelkeit bereitete, denn aus dem Schrei hörte man zwei kaum verständliche Wörter heraus:
»Meine Augen!«
»Au fein«, sagte Pravuil fröhlich. »Jetzt können wir hinabsteigen. Mein Lager ist nicht allzu weit von hier.«
Arthur kletterte nur zögernd hinab, obwohl er jetzt wusste, wie die Kohlepyramiden zu stabilisieren waren und dass er sich notfalls wieder hinaufflüchten könnte. Und er wusste, dass, wer immer seine Augen verloren hatte, nicht für sehr lange auf sie verzichten musste – aber der entsetzliche Schrei ging ihm nicht aus dem Sinn, ebenso wenig wie die Tatsache, dass es Pravuil völlig gleichgültig war, was einem anderen zustieß. Er dachte darüber nach, während er dem Kohlesortierer folgte. Arthur meinte, dass er ziemlich gut einschätzen konnte, wie Leute wirklich waren und wie sie sich verhalten würden. Pravuil hatte sich geweigert, etwas zu tun, was er nicht für richtig hielt, und war deshalb bestraft worden. Aber andererseits schienen ihm seine eigenen Interessen allzu sehr am Herzen zu liegen – ein seltsamer Widerspruch. Aber vielleicht war dieser durch die Tatsache zu erklä ren, dass Pravuil kein richtiger Mensch mit einem wirklichen Charakter war. Er war ein Bürger. Niemand im Haus war menschlich, außer vielleicht die Kinder wie Susi, die frü her Sterbliche gewesen waren. Aber selbst die waren anders. Arthur konnte nicht sagen, was für Wesen diese Bürger eigentlich waren, geschweige denn der Alte oder die Architektin. Er wollte sich auch gar nicht lange mit dieser Frage aufhalten, besonders weil sie seine Gedanken in eine Richtung lenkte, die ihm unangenehm war. Niemand aus seiner Familie ging in die Kirche, und er wusste sehr wenig über Religionen. Einerseits bedauerte er das jetzt, andererseits war er aus irgendeinem Grund froh darüber.
Pravuils Lager, in dem sie schließlich nach einem langen Marsch über eiskaltes, kohlebedecktes Ödland eintrafen, bestand aus einer kleinen hölzernen Kiste, einem schäbigen Sessel und einer seltsam aussehenden Metallvorrichtung von zirka einem Meter Höhe, die mit zahl reichen kleinen Ventilen, Hähnen und Schubladen verse hen war. Sie verströmte eine angenehme Hitze, und Arthur wärmte sich freudig die Hände.
Pravuil erklärte ihm, dass die Maschine »Samowar« genannt wurde und seinen kostbarsten Besitz darstellte; sie war ihm von einem begnadigten Kohlesortierer hinterlassen worden, der nach oben
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