Die Schlüssel zum Königreich 04 - Rauer Donnerstag
ist ein privater, kein staatlicher Service, also können wir davon ausgehen, dass schnell ein Krankenwagen kommen wird.«
»Aktivieren Sie es«, stimmte Blatt zu und schickte sich an, wieder nach unten zu gehen. »Kann ich mir ein Messer aus Ihrer Küche leihen? Und etwas Salz?«
»Wenn du das möchtest.« Sylvie öffnete eine Nachttischschublade und nahm ein kleines, elektronisches Gerät heraus, schnippte den Plexiglasdeckel auf und drückte den kleinen, roten Knopf. Es fing an zu piepen, und eine künstliche Stimme riet: »Bewahren Sie Ruhe. Hilfe ist unterwegs. Bewahren Sie Ruhe. Hilfe ist unterwegs.« Dann begann das Gerät, ein Vivaldi-Stück für Flöte und Fagott zu spielen.
Sylvie warf es in die Schublade zurück und folgte Blatt nach unten. Sie fand sie in der Küche vor, wie sie löffelweise Salz schluckte und mit Orangensaft hinunterspülte.
»Was um alles in der Welt tust du da?«
Blatt hustete halb würgend. Dann wischte sie sich den Mund mit einem Küchentuch ab und sagte: »Ich weiß es selbst nicht genau, wirklich, aber Salz könnte die Macht des Nichtlings schwächen. Sie mögen kein Salz … und kein Silber.«
»Ich habe einen silbernen Armreif«, sagte Sylvie. »Ich werde ihn holen.«
»Danke«, nuschelte Blatt durch die Mundwinkel. Sie musste mit aller Kraft gegen den Brechreiz ankämpfen und hätte nicht für möglich gehalten, dass einem nur von einem halben Dutzend Löffel Salz so übel werden konnte. Vielleicht mochte der Pilz auch kein Salz. Für den Fall der Fälle rührte sie sich noch eine Salzwasserlösung an und gurgelte damit; anschließend zog sie sich die Flüssigkeit noch durch die Nase, als ob sie ihre Nebenhöhlen ausspülen wollte. Vielleicht würde das ja helfen.
Als Sylvie zurückkam – sie hatte nicht nur den silbernen Armreif, sondern auch ein Halsband aus kleinen, silbernen Eicheln gefunden – hörten sie das Heulen einer näher kommenden Sirene und dann das Schlagen der Türen des dazugehörigen Krankenwagens, der vor dem Haus hielt.
»Ich habe meinen Insulinpen bei mir«, sagte Sylvie und zeigte Blatt einen Stift, den sie unter ihrem Schal versteckt hatte. Der Markenname auf der Hülle war mit Kugelschreiber geschwärzt. »Ich werde ihnen erzählen, dass er etwas sehr Gefährliches enthält, das ich ihnen spritzen werde, wenn sie nicht tun, was ich sage. Aber erst, wenn wir im Wagen sind; vorher werde ich hier sitzen, und du sagst ihnen, dass ich ohnmächtig geworden bin. Du kannst dich als meine Enkelin ausgeben.«
»Danke!«, sagte Blatt überrascht. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass Sylvie sich so eifrig beteiligen würde. »Ah, ich will aber nicht, dass Sie tatsächlich verletzt werden …«
»Ich weiß, ich weiß«, beruhigte die alte Frau sie. Sie ließ sich auf einem Küchenstuhl nieder und begann, Töne wie eine kleine, kranke Katze von sich zu geben. Es war so realistisch, dass Blatt sich wirklich einen Moment lang Sorgen machte, bis sie Sylvie zwinkern sah.
Blatt öffnete die Tür. Draußen standen zwei Rettungssanitäter, beide in voller Quarantänemontur; nur die Augen waren hinter ihren Gesichtsmasken zu sehen.
»Es ist meine Oma!«, schluchzte Blatt. »In der Küche!«
Die Sanitäter drängten sich an ihr vorbei, wobei der zweite den Verband an ihrem Kopf bemerkte.
»Was ist geschehen?«, erkundigte sich der erste Sanitäter.
»Sie hat das Bewusstsein verloren«, schwindelte Blatt. »Ich glaube, es ist ihr Herz.«
»Oh, oh, oh, oh«, stöhnte Sylvie.
»Wir schaffen sie besser in den Wagen«, meinte der erste Sanitäter, während er ein Blutdruckmessgerät aus seinem Notfallkoffer nahm und an Sylvies Handgelenk befestigte. Der zweite Sanitäter nickte und ging wieder hinaus. »Hm, stark erhöhter Puls, Blutdruck okay. Könnte eine Herzgeschichte sein. Sie kommen wieder in Ordnung«, wandte er sich an Sylvie. »Ich heiße Ron, und ich werde mich um Sie kümmern. Entspannen Sie sich einfach, und ehe Sie sich’s versehen, liegen Sie schon im Rettungswagen.«
Der Sanitäter tätschelte ihren Handrücken, und Sylvies Mitleid erregendes Miauen verstummte. Ihre andere Hand lag unter ihrem Schal und hielt den Insulinpen umklammert.
»Kann ich mitkommen?«, fragte Blatt.
»Du verstehst aber schon, dass, wenn wir dich in ein Krankenhaus mitnehmen, du dann wegen der Quarantäne vielleicht dort bleiben musst? Und wir müssen dich vorher einsprühen.«
»Klar«, war Blatt einverstanden. »Solange wir nicht im Ostbezirkskrankenhaus
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