Die Schlüssel zum Königreich 04 - Rauer Donnerstag
landen.«
»Auf keinen Fall. Da ist im Moment der Teufel los. Wir sind zurzeit in der Lerchenthaler Privat stationiert. Okay, geh ein Stück zur Seite!« Und zu Sylvie: »Wir werden Sie jetzt auf die Trage heben.«
Der zweite Sanitäter war zurückgekommen und schob eine fahrbare Trage vor sich her. Die beiden hoben Sylvie fachmännisch hoch, legten sie darauf und zogen die Gurte locker an. Das Blutdruckmessgerät quittierte ihr Tun mit einem Piepen.
»Frequenzerhöhung«, meinte Ron. »In ein paar Minuten haben wir Sie an ein paar unserer Wundermaschinen angeschlossen. Dann wird es Ihnen wieder gut gehen.«
Blatt hatte befürchtet, die Nachbarn könnten fragen, wer sie sei, sobald sie das Haus verließen. Aber ihre Sorge war unbegründet. Hier und da war zwar ein Gesicht hinter einer Scheibe zu sehen, doch niemand kam auf die Straße. Wahrscheinlich fragten sich alle, ob Sylvie ein Opfer der neuen Biowaffe geworden war.
Dass der zweite Sanitäter Blatt eine Schutzbrille und eine Gesichtsmaske reichte und sie anschließend komplett mit etwas einsprühte, das den Schlauch hellblau verließ, aber beim Trocknen die Farbe verlor, war weiter dazu angetan, auch den neugierigsten Nachbarn vom Verlassen seiner sicheren Wohnung abzuhalten. Das Desinfektionsmittel roch schwach nach feuchter Zeitung, aber es hinterließ glücklicherweise keine fühlbaren Rückstände.
Nach dem Einsprühen ging der Sanitäter nach vorn und setzte sich hinters Steuer. Blatt kletterte hinten in den Wagen, wo Ron soeben ein Gerät eingeschaltet hatte, das mit einem halben Dutzend herabhängender Schläuche, Leitungen und Sensoren über der Trage pendelte.
Blatt zog die Tür hinter sich zu, und der Krankenwagen fuhr mit Sirenengeheul los. Als sie um die Ecke bogen, neigte sie sich über Sylvie und löste die Gurte um ihre Arme, während der Sanitäter auf der anderen Seite gerade den Deckel von einer Tube Kontaktgel schraubte.
»Was machst du –«
»Keine Bewegung!«, zischte Sylvie, setzte sich ruckartig auf und presste den Insulinpen fest gegen Rons Oberschenkel, wo der Stoff seines Schutzanzuges so dünn war, dass die Nadel ihn leicht durchdringen würde. »Das hier sind zweihundertfünfzig Milligramm Rapyrox. Sagen Sie Ihrem Kollegen, er soll Funkstille halten und keinen Alarm geben.«
Der Sanitäter erstarrte und drehte dann langsam den Kopf nach vorn. Blatt hatte keine Ahnung, was Rapyrox war, aber Ron wusste es jedenfalls und hatte Angst davor.
»Jules, die alte Dame drückt eine Injektionseinheit Rapyrox gegen mein Bein. Unternimm nichts … ich meine, gar nichts.«
»Was?«
»Ich habe hier zweihundertfünfzig Milligramm Rapyrox, und ich habe keine Angst, sie zu benutzen!«, kreischte Sylvie schrill und jagte damit Blatt fast ebenso viel Angst ein wie Ron. »Ich will, dass Sie mich irgendwo hinfahren. Und du verhältst dich ruhigjunge Dame!«
Blatt nickte und war sich plötzlich nicht mehr sicher, wie viel von Sylvies Vorstellung tatsächlich noch geschauspielert war.
»Was immer Sie sagen, Lady«, sagte Jules beschwichtigend. Blatt konnte sehen, wie seine Augen nervös zwischen dem Rückspiegel und der Windschutzscheibe hin und her zuckten. »Wohin wollen Sie?«
Sylvie nannte ihm eine Adresse, die zwei Häuser von Arthurs Haus weg war. Blatt sah die alte Dame verwundert an, als sie Jules die falsche Hausnummer gab, dann nickte sie langsam.
»Ich lese viele Krimis«, sagte Sylvie scheinbar ohne Bezug.
»Prima, prima«, murmelte der Sanitäter im Fond. »Warum auch nicht? Ich lese selbst ab und zu einen. Ah, warum wollen Sie eigentlich nach –«
»Habe ich gesagt, dass Sie reden dürfen?«, schrie Sylvie.
Der Rest der Reise verlief ohne Konversation. Jules warf nach wie vor mal einen raschen Blick in den Rückspiegel, aber dabei ließ er es bewenden. Ron schloss die Augen und atmete regelmäßig und sehr kontrolliert. Sylvie beobachtete ihn mit Argusaugen, die heller strahlten, als es für eine alte Dame normal war.
Blatt saß da und machte sich Sorgen. Sie spürte weiterhin den Druck im Kopf, aber er war nicht schlimmer geworden. Ihr fiel immer noch nichts Besseres ein, als Dame Primus anzurufen und zu hoffen, dass das Vermächtnis auf irgendeine Weise helfen würde. Bevorzugt, indem es die Tasche an sich nahm und zu Arthur schaffte, sodass der den Skelettjungen vernichten konnte. Ob das allerdings den Unglücklichen helfen würde, die sich bereits mit dem Pilz infiziert hatten, war eine andere Frage.
Auch wenn es
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