Die Schluesseltraegerin - Roman
gegen ihn behaupten zu müssen.
Doch was hatte sie nun davon, sich mit diesem Mann einzulassen?
Besitz, Macht, Schutz? Nein, all das konnte er ihr nicht bieten. Da wäre sie sogar noch besser bedient gewesen, wenn sie mit dem nächstbesten Landstreicher auf- und davongezogen wäre.
Es gab rein gar nichts, was den gestrigen Vorfall gerechtfertigt hätte. Nichts, was für einen von beiden nun, am Tage danach, von Vorteil wäre. Nicht einmal angenehme Erinnerungen, denn sobald diese auch nur im Anfluge auftauchten, wurden sie gleich von dem hereinbrechenden schlechten Gewissen vertrieben.
Was war es also gewesen, das sie getrieben hatte? Wollust, so würde die schlichte Antwort Gundas lauten, wenn sie ihr davon erzählte. Aber einen Teufel würde Inga tun.
Ja, Gunda – auf sie wartete Inga nun. Irgendwann musste sie doch zurückkehren.
Die Ernte war längst eingefahren, die Drescharbeiten hatten noch nicht begonnen. Außerdem herrschte an diesem Tag ein miserables Wetter, Zeit also für die krumme Gunda, ihrer Freundin Inga einmal wieder einen längeren Besuch abzustatten.
Untätig setzte Inga sich nach draußen auf die Bank vor dem Haus. Leichter Nieselregen ging auf sie nieder, und es verging fast der ganze Vormittag, als endlich, unten am klapprigen Steg, der aus nichts Weiterem als zwei morschen Holzbrettern bestand, die krumme Gestalt der alten Gunda im Nebel auftauchte.
XXI
W as in Gottes Namen treibst du da, Bruder Agius?«
Der vertraute Kopf des Mönches Melchior war es, der sich plötzlich über Agius beugte und Schatten in sein Gesicht warf.
»Ich schaue in den Himmel.«
Melchiors Kopf drehte sich nach oben, ebenfalls in Richtung des unbewölkten Blaus.
»Nun, ein wahrlich schöner Himmel ist das, Bruder Agius. Mir jedoch ein wenig zu langweilig, ganz ohne Fliegendes und Summendes.«
»So ist es, Melchior, langweilig.«
»Wenn es dir doch langweilig ist, was starrst du dann die ganze Zeit hinein? Was siehst du dort, Agius?«
»Nichts.«
»Nichts?«
»Nichts.«
»Nichts ist es auch, wenn ich das mit Verlaub feststellen darf, was du am Leibe trägst, Bruder Agius. Wo ist deine Kutte?«
»Ich weiß es nicht.«
»Du bist ein Gottesmann. Es ziemt sich nicht, am helllichten Tage nahezu unbekleidet im Gras zu liegen und Löcher in die Luft zu starren. Man möchte meinen, du habest den Verstand verloren. Sei froh darüber, dass ich es bin, der dich hier in diesem Zustand vorfindet.«
»Glaube mir, Melchior, das ist mir vollkommen gleich.«
»Nun, dann wird es dich auch nicht bekümmern, wenn ich dir berichte, dass man im Kloster ob deiner Person ein wenig aufgebracht ist.«
»Demnach bist du dem heimtückischen Taddäus bereits begegnet?«
Agius stellte diese Frage gleichgültig. Noch immer regte er sich nicht und blickte weiterhin in den blauen Himmel.
»Selbst sah ich ihn nicht. Ich vernahm jedoch, dass er am gestrigen Abend ins Kloster zurückkehrte und bis tief in die Nacht eine Unterredung mit dem Prior geführt haben soll.«
»Er kam hierher und versuchte mich zu erpressen, dieser Skrupellose«, sagte Agius unbekümmert.
»Erpressen?«
»Ja.«
»Was will er, Agius? Auch ich empfinde ihn nicht als angenehmen Zeitgenossen.«
»Er will alles.«
»Lass mich zusammenfassen. Du und Taddäus, ihr seid zwei gänzlich verschiedene Leute. Du liegst hier und siehst nichts, und er kommt her und will alles. Mir scheint, dass ihr beiden so niemals zusammenfinden werdet.«
»So ist es, weiser Melchior, so ist es.«
»Womit vermag er dich zu erpressen, Bruder?«
»Das liegt Jahre zurück. Ein Fehler, den ich begangen und für den ich bereits sträflich habe büßen müssen. Er weiß davon, oder vielmehr, er ahnt es und will mich dafür weiterhin leiden sehen, indem er mich seinem Willen unterwirft. Dem Willen eines Menschen, den ich mehr verabscheue als selbst den widerwärtigsten Sünder.«
»All das ist und bleibt mir ein Rätsel, ein großes Rätsel, Bruder Agius. Darf ich dir nun deine Kutte bringen? Sie liegt dort drüben, über einem Busch.«
»Ich nehme sie mir selbst, guter Melchior. Hab vielen Dank«, sagte Agius und erhob sich.
»Ihr strittet also gestern?«, fuhr Melchior fort, während Agius sich ankleidete.
»Ja, wir stritten. Er will nicht, dass ich weiter mit dieser Aufgabe hier betraut bin.«
»Warum nicht?«
»Nun, das hat viele Gründe.«
»Ich mag dumm erscheinen, Agius, aber was die wahren Gründe dieses Mannes sind, weiß selbst ich. Er ist ein heimlicher Feind
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