Die Schluesseltraegerin - Roman
Zwischenzeit längst ins westliche Frankenland zurückgekehrt war.
Sie hatte ihn fast schon aus ihrer Gedankenwelt verdrängt, nie mehr damit gerechnet, ihn wiederzusehen, auch nicht heute, an dem Tag, an dem sie sich vorgenommen hatte, mit einem der Mönche des Klosters zu sprechen. Aber nun kam der Abt und mit ihm vielleicht auch Agius. Es war unwahrscheinlich, aber dennoch hatte diese Begegnung in Inga etwas Eigentümliches bewegt. Ein wohlig-mulmiges Gefühl bemächtigte sich ihrer, längst vergessene Erinnerungen schossen ihr in den Kopf, und ihr Herz klopfte noch schneller, als es ohnehin wegen der erfahrenen Anstrengung und der Peinlichkeit geklopft hatte. Vergeblich versuchte sie in die vorbeiziehenden Sänften zu blicken, die von je einem Pferd vorn und einem Pferd hinten getragen wurden. Doch durch die edlen, purpurnen Vorhänge war nichts zu erkennen. Kein Agius, nicht einmal der Abt.
Sollte sie nun hinterdreinstapfen? Ob jetzt überhaupt jemand Zeit für sie finden würde im Kloster? Jetzt, wo so hoher Besuch erwartet wurde? Sicher waren alle ganz aufgeregt, und ohnehin war Inga nicht nur vollkommen verschmutzt, nein, sie war auch ihres Vorwandes verlustig gegangen. Das Fass war hinüber, und somit auch der Grund, den sie gefunden hatte, um sich als Händlerin Zutritt hinter die Klostermauern zu verschaffen.
Sie würde es ein andermal probieren müssen.
Außerdem sollte er sie ganz und gar nicht in diesem verwahrlosten Zustand erblicken. Noch immer klopfenden Herzens stapfte Inga, den leeren Karren vor sich herschiebend, zurück zur Taverne. Sie musste sich eingestehen, dass sie sich sehr wünschte, ihn wiederzusehen. Ja, das wünschte sie sich, und sie hatte das Gefühl – aus welchem Grund auch immer -, dass ihr, der schmutzigen Sächsin Inga, die gerade zum Gespött einer ganzen Frankengesandtschaft geworden war, dieser Wunsch eines Tages erfüllt werden würde.
Und Inga begann zu träumen.
»Was? Bist du nun ein Gastwirt oder etwa nicht?«
»Ankündigen hättet ihr euch müssen. Wie soll ich das ganze Volk unterbringen und dazu die vielen Pferde?«
»Hast wohl keine Lust, ein gutes Geschäft zu machen. Was seid ihr Sachsen nur für ein stures Volk.«
Inga kam gerade zur Hintertür herein. Sie hatte soeben die Tiere versorgt und bereits vom Hinterhof aus wahrgenommen, dass eine große Gesellschaft von der Weser herkommend durch die Ortschaft gezogen war und nun unmittelbar vor der Taverne Halt gemacht hatte. Es wunderte sie nicht, als sie in dem dunklen, miefigen Haus eben den Reitersmann wiedererkannte, der sie noch vor wenigen Stunden so rabiat vom Wege vertrieben hatte. Er sprach mit dem dicken Ottmar, wollte offenbar seine Mannen bei dem Wirt unterbringen, stieß aber bei dem trägen Faulpelz auf taube Ohren.
Reine Taktik, dachte Inga bei sich. Ottmar wollte mit seinem gleichgültigen Verhalten den Preis nach oben treiben. Er war kein guter Geschäftsmann, kein guter Wirt, aber er war der einzige jenseits von Paderborn, und er wusste, dass die Gesandtschaft des Abtes keine andere Möglichkeit hatte, als in eben dieser Taverne zu nächtigen. All ihre geistlichen Vertreter fanden
Unterkunft im Kloster, und mit ihnen ein Teil der persönlichen Leibgarde Walas, aber diese hier, immerhin ein Dutzend an der Zahl, mussten sich eine eigene Herberge suchen, denn das Kloster, welches sich noch immer in einem provisorischen Zustand befand, war überfüllt. Allein in den Viehställen hätten die Mannen nächtigen können, doch das war zu dieser Jahreszeit kein angenehmes Lager.
»Wie zahlst du, Franke?«, wollte Ottmar wissen. Er saß noch immer wie festgewachsen auf seinem Hocker an der Feuerstelle. Das Fett seines massigen Körpers quetschte sich weit über die Ränder des Schemels hinaus und hing fast hinunter bis auf dem mit Stroh, Essensresten, verschüttetem Bier und Erbrochenem bedeckten Lehmboden der Schänke. Inga hatte schon mehrmals angemerkt, das Stroh zu wechseln, doch es war ihr entschieden verboten worden. »Wieso wertvolles Stroh verschwenden, wenn die mir ohnehin jeden Abend wieder neu hineinspeien«, hatte der Dicke geschimpft.
»Wie ich zahle? Ist dies etwa kein Hospiz? Du lässt dich bezahlen?«
Ottmar antwortete nicht, und der Franke fuhr fort: »In Silberdenaren zahle ich, wenn es dem Herrn Wirt recht ist.«
»Je Mann mit Pferd einen Silberling die Nacht. Ihr bekommt des Morgens einen Brei und des Abends ebenfalls einen Brei. Außerdem ein trockenes Lager. Alles, was
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