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Die Schluesseltraegerin - Roman

Die Schluesseltraegerin - Roman

Titel: Die Schluesseltraegerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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und Durchsetzungsvermögen gewesen. Allein die Schuld der Mönche und vor allem die des Agius. Denn dieser konnte sich nicht mit Unfähigkeit entschuldigen, nein, ihm konnte man Lustlosigkeit, ja nahezu Ungehorsam anlasten. Und genau das tat der aufgebrachte Wala, als er mit Agius im Kloster Corbeia Nova zusammentraf.
    »Du wirst zurückkehren und alles zur rechten Ordnung bringen! Es ist ein Exempel, ein Zeichen, das wir setzen müssen. Dies ist eine Wildnis, Agius, eine verdammte Wildnis. Und wir haben den Auftrag, sie zu kultivieren, ihnen zu bringen, wovon sie noch nichts wissen. Es reicht nicht aus, uns selber einzusperren und uns beschenken zu lassen. Wir müssen auch geben, sonst werden sie sich zusammenrotten und uns über den Haufen rennen. Du hast doch deinen Tacitus gelesen, du kennst die Geschichte des Varus und Arminius, nicht wahr?«
    »Heißt das, du entbindest mich von meiner Buße, Vater Abt?«
    »Das werde ich wohl oder übel tun. All das war allein die Idee dieses unsäglichen Taddäus. Ein Sauhaufen ist das, diese faulen Hofschranzen. Scheffeln, wo sie nur können, bringen keinen Nutzen, ihre einzige Aufgabe scheint zu sein, von früh bis spät zu intrigieren und unsere Einkünfte zu verprassen. Was du mit Taddäus für quälende Erinnerungen teilst, musst du allein mit Gott und deinem Beichtvater ausmachen. Ich jedoch brauche dich hier, und ich sehe nicht ein, dass ein Kopf wie du im Büßerhemd hinter diesen Mauern umherwandert, nicht sprechen,
nicht lesen darf, bis auf die Knochen abmagert und irgendwann tot umfällt. Vollende deine Aufgabe, bevor andere unser Scheitern erkennen und wir zum Gespött werden.
    Es ist eine leichte Aufgabe, Agius. Eine sehr kleine, aber wichtige Aufgabe. Überwinde deinen Stolz, großer Agius, lass dich zu einer solch niederen Mission herab und bringe diesen Heiden endlich die Lehren des Herrn nahe. Und sei dabei nicht zu streng. Erzähle ihnen Geschichten. Erzähle von den Heiligen. Sie lieben sie und ihre Reliquien, deren Verehrung kommt ihrem Brauchtum sehr nahe. Überhaupt musst du Verbindungen schaffen. Nicht verteufeln, sondern verbinden und ergänzen. Überzeuge sie, dass das, was wir ihnen bringen, nicht besser, sondern mehr ist als das, was sie bislang hatten. Erzähle ihnen vom Leben nach dem Tod, sie hören das gern. Sie fürchten nichts mehr als den Tod, und sie fürchten die Toten. Mache ihnen Hoffnung. Höre ihnen zu, lass dir von ihnen ihre alten Geschichten erzählen und erkläre sie ihnen, erkläre sie ihnen in unserem Sinne. Mit ein wenig Fantasie lassen sie sich leicht verwandeln. Das mögen sie. Sie lieben Geschichten. Du musst deine Ratio überwinden, Agius. Werde volkstümlich, finde dich ein in ihre Seelen, in ihr Denken, in ihr Handeln, dann wird es dir gelingen. – Ich erfuhr, dass dein unscheinbarer Mitbruder … wie war gleich sein Name?«
    »Bruder Melchior.«
    »… Eben dieser Bruder Melchior soll ein solches Einfühlungsvermögen besitzen. Lass ihm freie Hand. Es muss nicht alles wortgenau den Lehren der Kirchenväter entsprechen, was er den Menschen erzählt. Von Wichtigkeit ist, dass sie ihm zuhören, dass sie begeistert sind und uns vertrauen. Sie sind ein wilder Haufen, und man kann sie nur zähmen, wenn man sie versteht, sie nicht überfordert, sie in ihrer Eigenart annimmt.«
    »Ich begreife deine Worte durchaus, Vater Abt. Und ich bewundere
deine Weltoffenheit. Ja, ich bewundere sie. Mir ist sie nicht beschieden. Es liegt mir nicht, diese einfachen Menschen zu gewinnen. Gott hat mir die Gabe nicht zuteil werden lassen. Vielmehr bin ich ein Mann der Theorie. Durchaus verstehe ich ihr Denken und Handeln. Soweit es mir möglich war, habe ich auch ihre Kultur, ihre alte Religion studiert und versucht, sie aus ihren eigenen Augen zu betrachten. Diese Abstraktion ist mir möglich, allein, ich kann sie im wahren Leben nicht nutzen. All das ist mir fremd. Vielmehr: Ich bin mir fremd, wenn ich ihnen gegenüberstehe.«
    »Warst du dir auch fremd, als du diesem sächsischen Mädchen näherkamst?«
    Wala schmunzelte leicht, und Agius wurde rot. Eine Hand beschwichtigend hebend, fuhr der Abt fort:
    »Ich verurteile dich nicht, Agius. Es ist zweifelsohne eine Sünde. Doch wer ist von derlei Sünden frei? Wer weiß, ob es nicht sogar sein Gutes hat, dass du dich überwinden konntest, diesen Wilden doch ein wenig näherzutreten. Vielleicht war sie der Schlüssel zu den anderen. Das heißt beileibe nicht, dass du wiederholen darfst, was du mit

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