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Die Schluesseltraegerin - Roman

Die Schluesseltraegerin - Roman

Titel: Die Schluesseltraegerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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es nun gelingen, sie zu beerben? Hatte sie es tatsächlich vollbracht, in Agius dieselben Gedanken, Sehnsüchte, ja Gefühle heraufzubeschwören, deren er sich noch so gut erinnern konnte und für die er seit Jahren büßte? Offenbar hatte sie es vollbracht, und Agius befürchtete, dass ihr dieser Triumph nicht entgangen war.
     
    Inga schaute an sich herunter, nachdem sie bemerkt hatte, dass der Blick des Mönches über gewisse Stellen ihres Körpers wanderte. Und tatsächlich, da war ein riesiger Fleck Honig auf ihrem schlichten Gewand, direkt zwischen ihren Brüsten.
    »Die Milch ist für die Kinder«, sagte sie, leicht errötend. »Ich wollte sie nur ein wenig süßen, das mögen sie gern.«
    »Für die Kinder? Die Kinder deiner Schwägerin, die soeben aufbricht, um zu gehen?«
    Inga drehte sich um. Tatsächlich, Ada machte sich zusammen mit einer der Mägde und den Kindern auf den Heimweg, ohne ihr Bescheid zu sagen. Es war ihr nicht zu verdenken.
    »Du weißt, was geschieht, wenn man seine Buße nicht tut. Ich erinnere dich hiermit daran und erwarte, dass du mir Bericht über den Fortgang deiner Bußübungen erstattest.« Er sagte dies leise, und ohne eine Antwort abzuwarten, drehte er sich um und ging.
    Inga stand nun mutterseelenallein, mit vier Bechern Honigmilch, für die es keine Abnehmer mehr gab und die nicht einmal sie selbst trinken durfte – wenn sie das denn gewollt hätte.

    Dachte er etwa, dass sie auf einem Fest wie diesem Milch zu sich nehmen würde?
    Da kannte er sich schlecht mit den Sitten und Gebräuchen der Sachsen aus. Ja, viel lieber wäre Inga nun zu den jungen Leuten gegangen, die miteinander lachten, Bier oder Met tranken und tanzten. Doch das durfte sie nicht, und ein jeder hätte sie schief angeschaut, wenn sie es dennoch gewagt hätte. Ratlos verharrte sie eine Weile vor den Bechern, dann ging sie langsam zurück zu ihrem Platz, an dem noch immer der alte Ulrich saß. Sofort reichte er ihr sein Trinkgefäß, das eigens mitgebrachte Horn eines Auerochsen, damit sie ging, um es ihm mit Met zu füllen. Inga nahm das Horn und nickte dem Alten freundlich zu.
    Wenn das nun wieder der Bruder Agius sieht, dann lässt er sogleich einen Scheiterhaufen für mich errichten, dachte sie, als sie für Ulrich holte, was er verlangte.
    Sie blieb nicht mehr lang, nahm hin und wieder einen Schluck aus Ulrichs Trinkhorn, lauschte seinen Erzählungen, beobachtete heimlich ihre Eltern und ihren Bruder. Irgendwann aber stand sie auf und machte sich auf den Heimweg – niedergeschlagen und allein.
    Der Festplatz lag am Rande der Ortschaft im Tal, nicht weit vom Beginn des Hohlweges, der zum Hilgerschen Hof führte. Es war nur eine kurze Strecke, aber da es bereits dämmerte, versuchte Inga sich zu beeilen. Im Dunkeln am Waldrand entlangzugehen, das ließ mitunter selbst den kühnsten Krieger erzittern. Zumal der Weg sie zunächst an einem besonderen Wald vorbeiführte – dem Kapenwald. Dieser war wilder, urwüchsiger und undurchdringlicher als alle übrigen Wälder der Gegend, und er erstreckte sich über einen großen Hügel, der das Siedlungstal nördlich einengte und sich in seinen Ausläufern fast bis zum Nordrand der Hilgerschen Felder erstreckte.
Ein rauschender Bach floss an seinem Rand vorbei und bildete hier und da tiefe Mulden, die zu dieser Jahreszeit fast zu kleinen Seen angeschwollen waren. Diesseits des Baches zu gehen war bedenkenlos, ihn zu übertreten, das wagten nur die Mutigsten. Denn der Kapenwald galt als verwunschen, und es wurde die Geschichte erzählt, dass diejenigen, die es gewagt hatten, dort zu roden und das Land urbar zu machen, allesamt eines grausigen Todes gestorben seien. Niemals, so hieß es, hätten sie den Wald wieder verlassen, und in stürmischen Nächten könne man ihr klägliches Jammern bis tief ins Tal hinein hören.
    Zum Glück würde Inga nur wenige Schritte am Bach entlanggehen müssen, um dann gleich nach links, in Richtung ihres, des Hilgerschen Waldes, abzubiegen.
    Noch in Hörweite des Festplatzes torkelten ihr vier Männer entgegen. Inga kannte sie kaum, sie waren noch sehr jung, gerade dass man sie Männer nennen konnte, ledige Buben von den umliegenden Höfen und so betrunken, dass sich einer von ihnen breitbeinig auf den Weg setzte und zwischen seine Beine spie. Schnell und möglichst unbemerkt versuchte Inga die Trunkenbolde zu passieren, doch einer hatte sie bereits am Arm gepackt.
    »Willst du schon nach Hause?«, lallte er und kam Inga dabei so

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