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Die Schluesseltraegerin - Roman

Die Schluesseltraegerin - Roman

Titel: Die Schluesseltraegerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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Verräter bezeichnet hatte, obwohl dieser nichts anderes als weitsichtig gewesen war. Denn mit den Franken hatte sich vieles verändert, und der Wandel war noch längst nicht vollzogen. Sie hatten nicht nur die alten Götter vertrieben, deren Heiligtümer zerstört und den Engern ihre Zusammenkünfte auf dem Thing von Markloh verboten, nein, sie machten sich langsam, aber sicher daran, auch in die Geschlossenheit der einzelnen Sippenverbände vorzudringen.
    Familiengottheiten, persönliche Schutzgeister gab es nicht mehr, stattdessen sollte man nur noch zu diesem Einzigen beten. Und dieser hatte Diener in Menschengestalt. Man musste ihnen alles berichten, alles, selbst Dinge, die sich nur zwischen Mann und Frau zutrugen und allein deren Geheimnis sein sollten. Dieser neue Gott war überall, nichts blieb ihm verborgen, und viele behaupteten steif und fest, dass er nun auch das ganze Land in Besitz nehmen wolle. Alles müsse man ihm schenken – nicht ihm, natürlich, sondern denen, die ihn auf Erden vertraten.
    Vielleicht war es eine der letzten Erntefeste, welche im Kreise
dieser riesigen Sippschaften begangen wurden, denn auch Inga war nicht verborgen geblieben, dass sie sich aufzulösen begannen. Die Zahl der Hörigen wuchs, viele Freie gaben sich freiwillig in die Abhängigkeit zu einem Grundherrn. Die Verlockung dazu war groß: Man versprach ihnen Schutz bei Missernten oder Kriegen, man lockte sie mit zusätzlichem Land, das sie bewirtschaften und von dem sie profitieren konnten. Und kaum einer, nicht einmal der freie Liudolf, konnte solchen Angeboten widerstehen.
    In letzter Zeit hieß es, er habe beschlossen, dem neuen Kloster einen weiteren großen Teil seines Landes zu schenken. Er durfte es weiterhin selber bebauen, und zusätzlich fast die gesamten Felder eines im letzten Jahr verstorbenen Vasallen des Klosters aus der Nachbarsiedlung im Grubetal.
    Alles wandelt sich, so dachte Inga, als sie dasaß, alles wandelt sich, und nichts kehrt wieder. Nicht nur die Zeiten der Alten waren vorüber, auch ihr eigenes, ihr ganz persönliches Leben hatte sich in den letzten Monaten vollkommen verändert. Sie war nun eine allein lebende Witwe, behaust zwar, aber abhängig vom Wohlwollen der Gesellschaft. Im Grunde nichts Ungewöhnliches, gab es von diesen Frauen doch zahlreiche. Sich der Heilkunde zu verschreiben, war ebenfalls kein zweifelhaftes Gewerbe, selbst dann nicht, wenn man sich auf Wahrsagerei oder auf die Herstellung von Zaubertränken verstand. Genügend Waldfrauen hatten sich dieser Kunst hingegeben. Bis vor wenigen Jahren noch hatte hier, auf diesem Eschenberg, die alte Wanda gelebt. Sie hatte gewusst, wie man in die Zukunft blickt, die Sterne deutet, sie soll Runenstäbe auf ein weißes Tuch geworfen haben und darin zukünftige Missernten oder den Zeitpunkt des Todes eines Menschen erkannt haben. All das galt den Leuten als weiße Magie, denn sie bewirkte nichts Böses.
    Der Mönch Agius hingegen – und mit ihm der gesamte neue
Glaube – verbot ein solches Handeln. Mehr als deutlich war er geworden, als er Inga gesagt hatte, dass sie ein gefährliches Gewerbe betreibe. Unchristlich sei dieses Tun, abergläubisch, tief heidnisch. Inga verstand nicht, was so schlecht an dem war, was sie tat, aber dennoch beunruhigten sie die Worte des Mönches.
    Beunruhigend waren auch Ansgars Drohungen gewesen. Sie solle verschwinden, wenn ihr ihr Leben lieb sei, hatte er gesagt.
    Was führte er im Schilde?
    Welcher Dämon trieb ihn?
    Wollte er sie alle auslöschen?
    Allesamt?
    Die ganze Familie des Meinrad?
    Bruder Agius hatte nach dem Vorfall mit dem Pferdekopf angedeutet, dass es Mächtige gab, denen es recht sein könnte, wenn sich die verbliebenen freien Sachsen gegenseitig die Köpfe einschlugen. Und Inga hatte verstanden, warum. Niemand würde also zu Hilfe eilen, wenn Ansgar seinen angekündigten Rachefeldzug begann.
    Inga spürte, dass sich etwas Bedrohliches zusammenbraute. Es war noch lange nicht zu Ende. Und so zufrieden sie eigentlich mit ihrer neuen Lage auch sein konnte, war sie dennoch bedrückt und traurig. Denn sie verstand noch immer nicht, was sie mit alldem zu tun hatte. Warum ließ man sie nicht einfach so leben, wie sie leben wollte? Warum belästigte man sie, drohte ihr, prophezeite ihr missliche Zeiten? Warum gönnte man ihr keine Ruhe?
    Dabei wirkte doch alles so ruhig und friedlich an diesem herrlich warmen Frühherbsttag. Die Menschen arbeiteten wie kleine, fleißige Ameisen auf den Feldern,

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