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Die Schluesseltraegerin - Roman

Die Schluesseltraegerin - Roman

Titel: Die Schluesseltraegerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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Nadelbaumes auf äußerst kunstfertige Weise bearbeitet. Neu war diese Schnitzerei, denn wenige Tage zuvor, als Melchior das letzte Mal den Hain betreten hatte, war sie noch nicht zu sehen gewesen.
    Höchst merkwürdige Fratzen schauten ihn da an. Sicherlich
ein heidnischer Brauch, zu welchem Zwecke auch immer. Die Züge der Holzmänner waren sehr eigenwillig gestaltet, fast mochte man meinen, es handele sich um die Darstellung ganz bestimmter Personen. Der eine, der weiter oben aus dem Stamm herausblickte, hatte ein entschlossenes, grimmiges Gesicht, mit einer enormen Nase und einem energischen Kinn. Der andere, der unten aus dem Stamm herausblickte, hatte einen großen, runden Kopf, dicke Lippen und eine riesige Narbe, die sich von der Stirn über die Nase bis zur rechten Wange zog. Er schaute von unten nach oben zu dem Ersteren. Der Blick seiner rollenden Augen und das Mienenspiel um seinen Mund verrieten, dass er etwas wusste, von dem der andere keine Ahnung zu haben schien. Und das konnte nichts Gutes sein. Überhaupt wirkte dieses ganze Kunstwerk sehr bedrohlich. Weit entfernt von den lustigen Holzfratzen, die Melchior schon häufiger vor den Hütten und Häusern so manches Heiden auffinden musste.
    Sicherlich, so dachte Melchior, war dem Künstler nicht gelungen, was er auszudrücken versucht hatte. So erging es Bruder Valenz, Meister der Schnitzkunst, bei der Fertigung eindrucksvoller Holztruhen oder Türen ständig. Hatte er sich nicht demletzt erlaubt, ein Bildnis der Jungfrau Maria zu fertigen? Schielend, mit dicker Säufernase und einem Ausdruck im Gesicht, der manchen Mitbruder an bestimmte Frauen erinnerte, von denen man nicht einmal ahnen durfte, dass es sie gab. Selbst der Vater Prior war sich nicht schlüssig gewesen, ober beim Anblick dieses Kunstwerkes weinen oder lachen sollte. Für Melchior hingegen hatte sich diese Frage nicht gestellt, er lachte auch jetzt noch in Erinnerung an Valenz’ misslungene Gottesmutter und machte sich dann weiter an seine eigentliche Aufgabe, der Beobachtung des emsigen Ameisentreibens.

XIX
    K urz vor Beginn der Erntearbeiten war er zurückgekehrt, heimlich des Nachts. Beim Schneiden auf den Feldern hatte man ihn zum ersten Mal gesehen und sogleich den Hilgerschen Bericht erstattet.
    Im Tal und auf allen Höfen ringsherum warteten die Menschen voller Spannung auf das, was nun geschehen würde.
    Wie mochte Ansgar handeln? War er noch immer rasend? Würde er ihn zur Rede stellen oder ihm gar den Hals umdrehen?
    Das Recht dazu besaß er, so dachten viele. Hatte doch der junge Bero – daran bestand kaum mehr Zweifel – den jüngsten Hilgersohn Gernot auf dem Gewissen. Und wer weiß, so munkelte man, ob nicht auch Rothger weniger an den Folgen eines Unfalls als mehr durch die Hand des Bero gestorben war.
    Man hatte in diesen arbeitsreichen Tagen nur wenig Möglichkeit, sich zusammenzufinden und über die neuesten Vorkommnisse zu reden. Dennoch nutzte man die kurzen Schnittpausen oder zufällige Begegnungen, wenn man die beladenen Fuhrwerke zurück zu den Höfen wuchtete, um über die Rückkehr des roten Bero und deren wahrscheinliche Folgen zu spekulieren.
    Arglistig und verschlagen war er, so hieß es, der rothaarige Sohn des Freien Meinrad. Was ihm an Kraft und Körpergröße fehlte, machte er durch Schlauheit und Tücke wieder wett. In
dieser Hinsicht glich er seinem Großvater, Bero dem Alten – ein ungewöhnlicher Beiname, da dieser bekanntlich nicht alt geworden war.
    Und auch sein Enkelsohn, das war für viele zur Gewissheit geworden, würde seinen Großvater an Lebensjahren nicht übertrumpfen. Dafür werde Ansgar sorgen. Das musste er, das gebot ihm die Ehre, und das gebot ihm der Verstand, denn einer wie der junge Bero war nicht im Zaume zu halten. Die ganze Familie der Hilgerschen würde er nach und nach auslöschen, da waren sich einige sicher, wenn Ansgar ihm nicht zuvorkam.
    Doch wann würde er endlich zuschlagen?
    Zu den Mönchen ging er nicht mehr. Verwunderlich genug, dass er es überhaupt getan hatte. Sein Vater Hilger hätte den Gottesmännern einen empfindlichen Tritt in den heiligen Hintern verpasst, hätten sie eine solch entwürdigende Handlung von ihm verlangt.
    Doch die Zeiten hatten sich geändert. Denn tatsächlich besaßen diese Mönche Macht. Hinter ihnen stand das Kloster, und hinter diesem niemand Geringeres als der fränkische Kaiser, Sohn des Mannes, der vor Jahren in einem mehr als dreißigjährigen Krieg die bis dahin freien Lande der

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