Die Schluesseltraegerin - Roman
nächste unangenehme Überraschung auf Inga: die Zwillinge.
Berta und Gisela, wie immer in trauter Zweisamkeit, hockten draußen vor der verschlossenen Eingangstüre. Und so, wie sie stets dieselben, meist heimtückischen oder dümmlichen Gemütsregungen zeigten, waren sie sich auch jetzt offenbar in ihren Gefühlen einig, denn beide heulten bitterlich.
Der Tag neigte sich noch lange nicht dem Ende zu, und an einem dieser frühen Herbsttage, an denen das Wetter gut und die Ernte gerade eingefahren war, gab es auf dem Hofe sicherlich eine Menge zu tun. So viel, dass man nicht einmal auf die Arbeitskraft zweier solcher Faulenzerinnen wie Gisela und Berta verzichten konnte. Unglaublich genug, dass Ansgar offenbar Zeit genug hatte, einen Ausflug über die Berge dieser Gegend zu machen. Es musste also einen wichtigen Grund für ihr Erscheinen geben.
Nur widerwillig näherte sich Inga ihrem eigenen Heim. Und erst jetzt sahen die beiden Weinenden die verhasste Schwägerin kommen. Gisela war es, die sich erhob und tränenüberströmt auf Inga zulief. Ganz entgegen dem noch jüngst gezeigten Verhalten ergriff sie Ingas Hände und flehte sie mit kehliger, verschleimter Stimme an: »Du musst uns helfen, Inga. Hilf uns, bitte.«
»Was ist denn geschehen?«
»Es geht um Berta.«
»Was ist mit ihr?«
»Sie erwartet ein Kind.«
Das war wirklich eine Neuigkeit. Inga musste fast lachen, denn sie konnte sich des Anflugs einer gewissen Schadenfreude nicht erwehren.
»Wie ist das denn passiert?«, war auch schließlich das Erste, was ihr zu dem Ganzen einfiel.
Laut schreiend brach daraufhin die noch immer auf der Bank hockende Berta zusammen.
»Hat ihr etwa jemand Gewalt angetan?«
»Nein«, antwortete Gisela verschämt. »Es war Arnulf, unser Knecht.«
»Der pockige Arnulf? Wieso denn der?« Inga machte unwillkürlich ein angewidertes Gesicht. Auf dem Hofe der Hilgerschen lebten zwei Knechte: der besagte pockige Arnulf, ein zwar starker, drahtiger Mann von nicht ganz dreißig Jahren, der jedoch übersät war von Warzen in allen nur vorstellbaren Größen und Formen. Allein in seinem Gesicht tummelten sich auf der Nase zwei, am Kinn gleich drei, an der linken Braue eine und auf dem rechten Lid eine solch riesige, dass es ihm nur mit Mühe gelang, das Auge zu öffnen. Von Händen und Armen ganz zu schweigen, und dass sich das Ganze am übrigen Körper fortsetzte, war stark anzunehmen, auch wenn Inga sich darüber gar keine Vorstellung machen wollte. Bertold hingegen, der zweite Knecht, war ein junger, hübscher Bursche. Wäre das Kind von ihm gewesen, dann hätte Inga noch verstehen können, dass eine Freigeborene sich mit Gesinde eingelassen hatte. Aber Arnulf?
»Und nun? Was wollt ihr von mir?«
»Mach es weg, Inga, bitte!«, bat Gisela anstelle der betroffenen Berta. »Ich habe sie schon über einem Wacholderfeuer sitzen lassen, doch das hat nichts genutzt.«
»Wie weit ist sie denn?«
»Noch nicht weit. Übel ist ihr, und sie hat nicht geblutet.«
»Ich habe nichts da, was eine Fehlgeburt bewirkt, und ich werde mich hüten, etwas anzumischen.«
»Du brauchst nichts zu mischen. Wir haben bereits etwas mitgebracht und an einer trächtigen Hündin ausprobiert. Es hilft.«
Und dann holte Gisela eine kleine, tönerne Amphore unter ihrem Rock hervor, öffnete sie und hielt sie Inga unter die Nase.
»Was mag das sein, Inga?«
»Woher habt ihr das?«
»Wir haben es in deinem Grubenhäuschen gefunden. Dort, wo du immer gesponnen und gewebt hast. Versteckt lag es in einem kleinen Erdloch. Es ist doch dein Mittelchen, oder etwa nicht?«
»Nein.« Inga schüttelte entschieden den Kopf. »Nein, ganz gewiss nicht.«
»Wie auch immer – schon vor längerer Zeit haben wir es entdeckt, aber nie gewusst, was es ist. Nun aber, wo Berta in eine solch missliche Lage gekommen ist, dachte ich … Nun, ich dachte, dass du und Ansgar … nun, ihr habt euch doch immer ebendort, in dem Grubenhäuschen, getroffen. Und niemals ist dir daraus ein Unglück entstanden. Sicherlich hast du etwas gebraut, was gegen das Kinderkriegen hilft. Deshalb habe ich mich an das Krüglein erinnert, es genommen und an unserer Hündin ausprobiert. Und siehe da, am nächsten Tag lagen sechs nackte, tote Welpen mitten auf dem Hofe. Wie viel, Inga, müssen wir Berta geben, damit sie das Kindlein loswird?«
Mit angewidertem Gesicht riss Inga der erstaunten Gisela das Tongefäß aus der Hand und schleuderte es gegen den vor dem Haus stehenden Schleifstein,
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