Die Schluesseltraegerin - Roman
was, wenn Bruder Agius davon erfuhr?
Die Kirche sprach sich entschieden gegen derartige Praktiken aus, das wusste mittlerweile ein jeder. Ganz gleich, um welche Art Kind es sich handelte, ob vom eigenen Manne oder einem Dahergelaufenen, ob frei oder unfrei, Knabe oder Mädchen: war es erst empfangen, so sollte es auch leben. Zur Not durfte man es ihnen vor die Klostermauer legen, aber alle anderen, herkömmlichen Methoden waren verboten. Und nachdem Agius streng genug auf Ingas Treiben achtgab, würde er eine solche Mithilfe streng verurteilen. Im Übrigen hatte er nicht Unrecht mit seiner Befürchtung, dass eines Tages eine der vielen Hilfeleistungen Ingas ins Gegenteil umschlagen konnten. Was, wenn etwas nicht gutging? Wenn sie Schaden anrichtete?
Die halbe Nacht lag Inga nun wach und zermarterte sich den Kopf. Doch dann fasste sie einen Entschluss, mit dem sie sehr zufrieden war, je länger sie darüber nachdachte.
XX
E s war sehr töricht von dir.«
»Wie wagst du mit mir zu sprechen?«
»Verzeih, aber diese Tat ergibt keinen Sinn.«
»Keinen Sinn? Keinen Sinn ergibt, dass es nicht weitergeht. Soll ich längst verfault sein, wenn der Tag der Genugtuung kommt?«
»Ich bin mir sicher, dass er nun Bescheid weiß.«
»Möglich ist das. Und was soll er tun? Nichts. Hüten wird er sich.«
»Er ist nicht berechenbar. Und außerdem hegt er nun keinen Groll mehr gegen die anderen.«
»Lassen wir die in Frieden.«
»Woher plötzlich dieser milde Ton?«
»Unterlass es, dich über mich lustig zu machen. Wir müssen uns etwas überlegen.«
»Und das wäre?«
»Die Mönchlein. Mir schwebt da etwas vor, wozu wir sie gebrauchen könnten.«
»Die Mönche?«
»Ja, so ist es. Du musst einiges für mich herausfinden, Leute befragen, vielleicht sogar die Gottesmänner selbst. Sei vorsichtig dabei. Sie dürfen keinen Verdacht schöpfen. Wenn mein Vorhaben gelingt, dann können wir die beiden letzten Streiche noch in diesem Jahr vollziehen.«
»Aber er ist nun gewarnt. Ich bin mir gewiss, dass er dich suchen wird.«
»Soll er doch. Dann werde ich ihn mir eigenhändig vornehmen, den Teufelsbraten.«
Inga war unschlüssig. Sie hatte bereits den heiligen Hain betreten, in dessen Mitte, dem ehemaligen Thingplatz, nun das hölzerne Christengotteshaus stand. Mit einem äußerst eigentümlichen Gefühl in der Magengrube dachte sie an das letzte Zusammentreffen mit Bruder Agius zurück. Freundliche Worte hatte er nicht gefunden, aber dennoch hatte er sie berührt, war mit seiner Hand über ihre Wange gefahren. Noch immer brannte die besagte Stelle in Ingas Gesicht, wenn sie sich an diesen schaurig-schönen Moment erinnerte.
Sie war schon lange kein dummes Huhn mehr und wusste nur zu genau, was offenbar in diesem keuschen Gottesmann vor sich ging. Warum er streng zu ihr sprach, mit ihr schimpfte, sie aber dennoch immer wieder aufsuchte, um sie dann so seltsam anzusehen. Sie hätte sich geschmeichelt, ja mächtig fühlen können in Anbetracht dieser eindeutigen Erkenntnis, aber Inga beschlich vielmehr ein Gefühl des Unwohlseins, ja der Peinlichkeit.
Wäre sie doch jemand anders, wäre sie die krumme Gunda, die scheue Ada oder eine einfache Magd aus der Siedlung – dann würde sie ohne unangenehme Hintergedanken ihren Weg geradeaus zur Kapelle nehmen und Bruder Agius frank und frei ihr Anliegen vortragen.
Nach ihrer letzten Begegnung aber könnte er nun annehmen, sie wolle ihn zu sich einladen. Ihm einen Vorwand liefern, sie in ihrem Hause zu besuchen, um mit ihr allein zu sein.
Das sollte er bloß nicht denken. Obwohl – und Inga errötete bei dem Gedanken – sie sich eine solche Situation bereits
mehrmals lebhaft vorgestellt hatte. Des Nachts, wenn sie allein in ihrer Kate lag, wenn sie das Schreien des Uhus hörte, das Rauschen des Waldes, wenn sie eine leise Furcht beschlich in diesem verwunschenen Hause und sich nichts sehnlicher wünschte als die Nähe und den Schutz eines anderen Menschen – in solchen Momenten träumte sie häufig von Bruder Agius, sehnte sich aber auch ein manches Mal den stürmischen Ansgar herbei.
Inga wusste nicht, was mit Frauen geschah, die einen christlichen Gottesmann von seinem Keuschheitsgelübde abbrachten, denn darüber waren noch keine alten Erzählungen in Umlauf. Aber verboten war es, das war gewiss. Und sicherlich war es nicht weniger schändlich, als mit einem verheirateten Manne die Ehe zu brechen.
Lebendig vergraben hatten sie vor mehr als zehn Sommern die Frau eines
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