Die Schmetterlingsinsel
verlassen hatte, sicher unter einem Sonnenschirm, um ja keine Bräune auf die Haut zu bekommen.
»Vielleicht sollten wir zuerst in den Garten gehen«, schlug Jonathan vor. »Ich habe von meinem Fenster aus ein paar wunderbare alte Rhododendren gesehen.«
Dabei vergaß er, dass Diana denselben Ausblick hatte, aber sie erinnerte ihn nicht daran.
Auf knirschendem Kies umrundeten sie das Haus, bis sie schließlich den Garten erreichten, in dessen Mitte eine Art Mobilfunkantenne stand. Wahrscheinlich garantierte diese den Leuten in der Gegend Handyempfang, ein Komfort, der auch hier unerlässlich geworden zu sein schien.
Doch Jonathan hatte recht, die Rhododendren waren alt und wunderbar. Die Farbenpracht ihrer Blüten reichte von Schneeweiß bis Dunkelpurpur.
In meiner Nachbarschaft in Berlin würden einige Hobbygärtner für solche Prachtexemplare morden, dachte Diana schmunzelnd. Mehr noch als die Rhododendren zogen sie allerdings die Frangipani-Büsche an, die keinen Deut jünger zu sein schienen als die Rhododendren. Wahrscheinlich waren sie schon vor der Errichtung der Plantage dort gewesen.
Angesichts der Blütenpracht musste Diana wieder an die weiße Blüte mit dem roten Auge denken, die in dem alten Reiseführer gepresst worden war. Offenbar stammte sie sogar von hier. Der Gedanke faszinierte sie dermaßen, dass sie einfach auf den Busch zugehen und die fleischigen Blüten berühren musste. Hatten Grace und Victoria das auch getan? Und was war mit dem süßen Duft? Bisher war er Diana nicht aufgefallen, doch nun, da sie dicht vor der Quelle stand, wusste sie, was für eine süßliche Spur sie am Morgen wahrgenommen hatte.
»Unsere Nationalblume«, erklärte Jonathan, als er hinter sie trat. »Was die Orchidee für Thailand ist, ist Frangipani für Indien und Sri Lanka. Diese Büsche wachsen hier praktisch überall.«
»Und in meiner Heimat würde solch eine Pracht bestenfalls im Botanischen Garten oder in einem guten Gewächshaus gedeihen.«
Eine ganze Weile betrachtete Diana den Busch und malte sich kleine Szenen mit den Mädchen auf dem Gemälde in Tremayne House aus – nur dass sie keine Mädchen mehr waren, sondern junge Frauen. Eine merkwürdige Sehnsucht erfasste sie plötzlich, und sie wünschte sich sehnlichst ein Fenster, durch das sie ihre Vorfahrinnen beobachten konnte. Doch bisher hatte sie bestenfalls Bauteile davon, und die Scheibe war mit einer dunklen Folie verklebt, die nur an einigen Stellen kleine Risse aufwies. Der alte Brief, den sie heute Morgen gefunden hatte, war so etwas wie der Fenstergriff, der allerdings als Letztes eingesetzt werden würde und mit dem man das Fenster vielleicht öffnen konnte.
Erst nach einigen weiteren Augenblicken gelang es ihr, sich vom Anblick des Frangipani zu lösen. Als sie sich umwandte, sah sie die hintere Fassade des Herrenhauses in voller Pracht und bemerkte die typische englische Gestaltung der Grünanlage. So ähnlich fand man sie auch in Tremayne House, wenngleich auch etwas gepflegter.
An dem Flügel des Hauses angekommen, in dem ihre Unterkünfte lagen, blieb Jonathan plötzlich stehen.
»Sehen Sie mal dort!« Jonathan deutete auf eine kleine Lücke zwischen der Hecke und einen kahlen Streifen im Gras, der ganz nach einem Trampelpfad aussah. Wohin er wohl führte?
»Wollen wir uns mal ansehen, was dort ist?«
Diana blickte sich zum Haus um. Ob Mr Manderley etwas dagegen hatte, wenn sie dort hindurchschlüpften? Da sie niemanden am Fenster entdeckte, nickte sie und folgte ihm durch die Hecke.
Das Ziel des kleinen Weges verschwand unter dichtem Gestrüpp und hohem Gras.
»Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, hier auf eine Schlange zu treffen?«, fragte sie skeptisch. Natürlich konnten Schlangen auch in kultivierte Gärten kommen, aber zu Fuß im Busch fühlte sie sich doch ein wenig unsicherer.
»Nicht sehr groß«, entgegnete Jonathan. »Ich bin zwar kein Biologe, aber ich glaube, die Schlangen haben mehr Angst vor uns als wir vor ihnen. Vorsehen muss man sich eher vor den Raubkatzen, doch auch diese sind scheu. Allerdings haben Sie sicher schon bemerkt, dass es recht viele Affen gibt. Und Papageien.«
Nachdem sie sich eine Weile durch den Busch geschlagen und zwischendurch das Gefühl bekommen hatten, nicht weiterzukönnen, ragte plötzlich ein Palmblattdach vor ihnen durch das Gebüsch.
»Eine Hütte? Hier?«
»Lassen Sie uns nachsehen!«, entgegnete Jonathan voller Tatendrang und schob die Äste zur Seite. Obwohl sich der
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