Die Schmetterlingsinsel
Stocktons Sohn gebracht zu haben, begann sie zu rennen, als sei sie auf der Flucht vor den Geistern von Georges Präparaten.
Zurück im Haus, versuchte sie, sich ein wenig zu beruhigen. Waren ihre Einwände gegen George Stockton zuvor geradezu lächerlich gewesen, hatte sie nun etwas, weshalb sie ihn wirklich verabscheuen konnte.
Gerade als sie um die Ecke bog und der wunderschönen Glastür zustrebte, vernahm sie die Stimmen ihrer Mutter und von Mrs Stockton. Der Plauderton der beiden brachte Grace dazu, zu verharren und zu lauschen.
»Meine Liebe, unser Sohn ist bereits jetzt ganz vernarrt in Ihre Tochter«, erklärte Alice überschwänglich. »Seit dem Ball will sie ihm nicht mehr aus dem Kopf.«
»Und das, obwohl er sie nur kurz gesehen hat«, setzte Claudia seufzend hinzu. »Ich weiß auch nicht, was mit ihr an diesem Abend los war, so kenne ich sie gar nicht.«
»Das ist das Klima hier, junge Menschen sind dadurch leicht zu verwirren. Obwohl ich schon seit zwanzig Jahren hier bin, habe ich mich noch nicht so recht daran gewöhnt. Aber seien Sie gewiss, unser George und Ihre Grace werden ein ganz hervorragendes Paar abgeben, so Sie denn diese Verbindung in Erwägung ziehen.«
Grace hielt den Atem an. Konnte es sein, dass die Einladung nur deshalb ausgesprochen worden war?
»Liebe Mrs Stockton, das haben wir bereits in Erwägung gezogen. Es hängt jetzt alles davon ab, ob sich die jungen Leute aneinander gewöhnen.«
Grace musste sich die Hand vor den Mund pressen, um nicht vor Entsetzen aufzuschreien. Ihre Mutter würde sie allen Ernstes mit diesem blassen Burschen zusammensehen wollen? Sie, die einen stattlichen Mann wie ihren Vater geheiratet hatte?
Plötzlich wurde ihr so schwindelig, dass sie sich an den Türrahmen lehnen musste. Doch Zeit für einen Schwächeanfall blieb ihr nicht, denn hinter ihr ertönte Stocktons Stimme, der ihrem Vater wieder einmal gute Ratschläge bezüglich der Plantage gab.
Grace fiel es nicht schwer, ein Übel gegen das andere abzuwiegen. Sie straffte sich und kehrte dann in den Salon zurück.
»Ah, da bist du ja, Grace!«, sagte ihre Mutter süßlich. »Wir haben uns gerade über dich unterhalten.«
Eigentlich wäre jetzt eine bescheidene Erwiderung angebracht gewesen, doch Grace wollten derartige Worte nicht über die Lippen. Das Einzige, was sie zu dem, was sie gehört hatte, sagen konnte, verbarg sie hinter ihren Lippen, die ein missglücktes Lächeln formten.
Wenig später betraten Stockton und Henry wieder den Salon. Die Augenbrauen des Hausherrn schnellten verwundert nach oben, als er Grace neben ihrer Mutter entdeckte – allein.
»Wo haben Sie denn meinen Sohn gelassen?«, fragte er scherzhaft, während sich seine Augen in ihr Gesicht bohrten. »Sie werden doch wohl nicht Verstecken mit ihm spielen und den armen Kerl draußen suchen lassen?«
»Nein, natürlich nicht«, antwortete Grace so höflich wie möglich und senkte scheu den Blick, damit er nicht sah, welchen Abscheu die Bilder, die George in ihr heraufbeschworen hatte, noch immer in ihr erregten. »Er wird im Garten sein.«
»Ah, dann hält er wahrscheinlich wieder nach irgendwelchen Tieren Ausschau«, entgegnete Stockton ein wenig verstimmt, ja beinahe abschätzig. Offenbar war er selbst nicht sonderlich erbaut über die Leidenschaft seines Sohnes. »Georges Sammelleidenschaft kennt keine Grenzen, aber ich bin sicher, dass ihn eines Tages eine hübsche Frau auf andere Gedanken bringen kann.« Wieder fiel sein Blick auf sie.
»Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich der jungen Dame unseren Aussichtsturm zeige?«, sagte er dann. »Wenn der Garten sie schon nicht zu reizen vermag, dann vielleicht der herrliche Blick auf die Berge – und Ihren Besitz.«
»Aber natürlich nicht!«, entgegnete Henry, während er Grace mahnend ansah.
Der Gedanke, mit Stockton irgendwohin allein gehen zu müssen, erregte tiefes Unbehagen in ihr, doch sie rang sich ein Lächeln ab.
»Wenn Sie wollen, können Sie uns gern begleiten.«
Henry lehnte ab. »Nein, ich glaube, ich möchte den Damen ein wenig bei ihrer Plauderei zuhören.«
Nicht einmal Vater will mit ihm längere Zeit verbringen, dachte Grace grollend, während sie sich mit klopfendem Herzen und eiskalten Händen erhob und die ihr angebotene Hand nahm.
Stockton betrachtete sie lächelnd, dann zog er sie mit sich aus dem Salon. Während sie schweigend die Freitreppe hinuntergingen, fragte sich Grace, wo sich diese Plattform wohl befand und ob es weit bis
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